Crash

Crash

 

Der Junge im Video korrigiert die Mutter strahlend: „Ich leide nicht unter Autismus, ich hab das einfach nur.“

Ja, ich habe das auch einfach nur. Und was auch immer wir Menschen haben oder nicht haben, wir tun alles dafür, nicht leiden zu müssen. Obwohl das Level an Leid und dessen Akzeptanz oft allzu variabel gehalten wird.
Was nur, wenn ein Leiden plötzlich und unverhofft daherkommt? Plötzlich alles unerträglich ist und plötzlich unsere Welt zerfällt?
Was, wenn wir das Trauma eines Zusammenbruchs sehr fürchten und die Kunst zu Leben darin besteht, diese möglichst zu verhindern?

Mittlerweile habe ich, besonders in den letzten Jahren, viel darüber gelernt, was meine Ängste, mein unterbewusstes Lebensdesign und meine neurodivergente Art betrifft. Eigentlich ein ganz eigenes Thema, wie sich ein (für mich) stressarmes Leben von dem abhebt, was normativ klingt…

Und dennoch hatte ich nach langer Zeit wieder einen Zusammenbruch. In der Öffentlichkeit, an einem besonderen Ort.
Und den möchte ich an dieser Stelle teilen.

Unter Neurodivergenten hat man sich auf 3 Stufen geeinigt, nämlich die Überflutung, die Kernschmelze und den letztlichen Zusammenbruch.

 

Überflutung

(englisch Overload)

Das Lebensgefühl von autistischen Menschen, wenn man in Selbsthilfegruppen zuhört, zwischen den Zeilen lesen oder gar Memes vertrauen kann. Im Sinne der 3 Stufen meint Überflutung jedoch ein außergewöhnlich kritisches Level an Überreizung, Über(be)lastung, Überbeanspruchung, Überforderung und Überspannung, das sich im besten Falle schmerzlich bemerkbar macht.
Im ungünstigen Fall aber erst zu spät, weil wir Menschen die Fähigkeit des Aus- und Durchhaltens nur zu gern einsetzen.

Meine konkrete Überflutung setzte sich aus mehreren Elementen zusammen: Veränderungen im Leben (neues Handy mit Lieferungshürden, Ende meines Arbeitsvertrages bei der langjährigen Firma, Planung eines neuen Portemonnaiekonzepts, Gedanken zu neuen Beschäftigungshorizonten, Neudenken von Routinen), Mittragen von Sorgen, ein Städtetrip mit Bahnfahrten, etwas Weltschmerz, etwas Herzschmerz, Sonne, Menschen, Mittelaltermarkt, alte Eindrücke, neue Eindrücke, menschliche Bedürfnisse.
Jede Sache hat ja ihr Gutes und ich habe stets gute Argumente für das Gewissen. Und je weniger man aktiv an jeden einzelnen Punkt denkt, desto einfacher wird das Leben, aber genau das ist eben unendlich schwer. Und wenn man obendrein keinen guten Eimer hat, das Wasser aus dem Kahn zu schippen, dann steht es einem schneller als gewollt bis zum Halse und die Luft wird eng…

 

Crash

(englisch Meltdown)

Hier ist der Druck zu groß für die Hirnrinde und irgendetwas muss passieren! Wie das aussehen kann, ob allzu deutlich oder vollständig unterdrückt, ist ganz von dem individuellen Betroffenen abhängig. Folgen hat es aber immer, ob nun sichtbar oder nicht.
Ich bin sehr gut im Unterdrücken. Mit Ausbrüchen habe ich schlechte Erfahrungen gemacht und wurde als Kind in engen Bahnen erzogen. Das hat mir wahrscheinlich viel Reiberei erspart und mich geduldig und nachsichtig erscheinen lassen, aber irgendwo müssen die angestauten Gefühle hinplatzen.

Es war beim Höhepunkt des Tages, dem großen Showturnier, als mein Eimer nicht mehr für die Flut an Eindrücken ausreichte. Menschen zu nah neben mir, Jubeln und Klatschen, schäumende Pferde, Schauspiel, kein freier Platz in Sicht, immer auf der Hut vor achtlosen Berührungen, bloß nicht das große Spektakel verpassen, weswegen wir hier sind.
Alle Bedürfnisse laut loszuschreien, Leute in die Schranken zu weisen, ummichzuschlagen und wegzulaufen konnte ich meisterhaft unterdrücken, bin ja ein ordentlicher Mensch, so habe ich es erlernt.
Und trotz rigorosem Einsatz von Stimming-Tools (ein Fidgetgadget und ein Akupressurring) platzte dann die andere Seite, die in mir drin.

 

Zusammenbruch

(englisch Shutdown)

Die unmittelbare Konsequenz.
Einen Zusammenbruch habe ich häufig mit einer Pflanze verglichen, die ihre Blüten schließt und verdorrt.
Es ist nichts mehr übrig, ich verkrampfe, schließe ungeachtet der Umgebung die Augen, um wenigstens etwas der Sinneseindrücke zu dämpfen. Meinen Gehörschutz hatte ich schon vor Beginn der Show drin, denn ohne den wären meine Nerven schon viel früher blank.

Zum Ende des Spektakels wurden Plätze neben mir frei, sodass ich nicht länger all meine Muskelkraft auf das bei-mir-Halten meiner Gliedmaßen konzentrieren musste und etwas Raum zum Atmen fand. Da wurde es deutlich, in welcher Lage mein Organismus steckte. Ich atmete wie ein Marathonläufer nach dem Rennen.

Während all diese Dinge passieren, läuft ein bestimmter Teil meines Gehirns aber weiter. Nämlich der, der sich anpassen und sich mit der Umgebung verschmelzen möchte. Zum Mitklatschen hatte ich die ganze Zeit keine Kraft, wobei ich nur hoffen konnte, dass das niemanden stört. Aber viel schlimmer ist der offensichtliche Gedanke, dass kaum ein Mensch um mich herum versteht, was in mir vorgeht. Ich kann es ja erklären, so wie ich es jetzt über Stunden per Text verfasse, aber in dem Moment selbst, in der Aufruhr in der ich mich befinde..unmöglich!

Und dieses Gefühl, dass man gerade dort unter Tausenden von Menschen einsam und alleine unter Dingen leidet, für die viel Geld gezahlt wird und die die Menschen zu erfreuen scheinen und die mich ja auch erfreut haben die anderen Jahre, das versetzte mir den vorletzten Stoß.

Der letzte Stoß war ein physischer. Beim Verlassen der Tribüne, wo ich links und rechts niemanden mehr bei mir hatte und alle Anstrengung keuchend und schnaufend zu verarbeiten versuchte, bekam ich einen Knuff, möglicherweise versehentlich, in den Nacken.

Menschen die mich gut kennen, wissen, wie ich mich manchmal erschrecken kann. Das hängt allzu oft mit Anspannung zusammen, die ich selten identifizieren und noch seltener kommunizieren kann.
So war meine körperliche Reaktion hier auch heftiger als ich für möglich gehalten hätte. Mit einem großen Ruck zuckte ich auseinander und wieder zusammen und mein Kopf und meine Arme rekompensierten spastisch den unverhofften Schock.
Peinlich. Unkontrolliert. Unangemessen. Schnell flüchtete ich auf eine freigewordene Bank, wo ich in allen Richtungen Platz hatte und atmete weiter und knetete meine Stimming-Tools. Jegliche Komposition dahin. Augen zu. Tränen. Gedankenstürme. Einsamkeit im Getümmel.

Aber ich war nicht allein. Mein lieber Freund, mit dem ich ja dort war, fing mich auf. Für Worte hatte ich keine Kapazitäten mehr, daher einigten wir uns per WhatsApp, dass es okay wäre zu gehen und mit gesenktem Blick und keinerlei Anstalten, mich wie ein gesunder Mensch zu verhalten, ging es wieder zurück zur Unterkunft. Mit immer weniger und weniger Menschen, aber vor allem dem Verständnis der einen Person, mit der ich unterwegs war, schaffte ich es mich zu beruhigen und nach einem Nachtschlaf und ohne weitere spontane Stressfaktoren kam ich mit meiner Energie noch glimpflich über das gemeinsame Wochenende.

 

Was brauche ich in dem Moment denn?

Viel wichtiger ist, was ich davor hätte brauchen können, besonders bevor es zu spät war und auch bevor es viel zu spät war.
Nämlich grundsätzliche Vorbereitung, wie ich mich in der derartigen Situation verhalten könnte, was es für Reißleinen in Notfällen gibt, was okay und akzeptabel ist und die Gewissheit, dass es für die Windungen meines Hirns Verständnis gibt.
Das ist möglicherweise utopisch, aber das hätte auch im plötzlich wütenden Sturm geholfen.

Was aber in dem heißen Moment hilft, und die folgenden Punkte tragen schonmal zum Faktor „Verständnis für die Hirnwindungen und -Wendungen“ bei, ist die Vermeidung neuer Sinneseindrücke, Schaffen von Raum, unverbindliche Angebote von konkreten Hilfestellungen (ich höre das, kann aber eventuell nicht angemessen reagieren) und das Abnehmen von Kommunikationssorgen.

Ab von dem konkreten Beispiel, wo einiges den Umständen entsprechend gut lief, sind hier Vorschläge, was im Falle eines bereits in Sinnesnot geratenen Menschen hilfreich sein könnte:

  • Selbst darauf achten, keine plötzlichen Geräusche, Berührungen oder ähnliches zu verursachen
  • Je nach Umgebung der betroffenen Person ihren Platz lassen und eventuell andere um Nachsicht zu bitten
  • Sollten Entscheidungen zur Ortsveränderung notwendig sein (entfernen von der Menge, umsetzen), darauf achten, dass die Antwortmöglichkeiten möglichst nonverbal sind: „Wenn wir jetzt zum [konkreter sicherer Ort] gehen wollen, steh einfach auf und dann werde ich vorausgehen.“ So ist die Wahl der Handlung ohne zusätzliche Kommunikation möglich
  • Wenn auf dem Wege in Sicherheit weitere Kommunikationshürden liegen, wie der Kauf eines Bustickets oder andere Situationen mit direktem Menschenkontakt, hilft es sehr, wenn ein Fürsprecher vermittelt

Und es hat auch was abenteuerlich-professionelles, wenn wir aus dem Hause gehen, bis an die Zähne ausgerüstet mit Gehörschutz, Stimming-Tools, alternativen Kommunikationsmitteln, Notfallplänen und einem Köcher voll Handlungsstrategien.

So sind wir stark!

Garderobe

Garderobe

Kleidung ist ein bestimmender Aspekt des menschlichen Phänomens. Und ich trage sie ja auch!
Ich schweife mal ein wenig aus:

Obwohl ich nicht gerade für einen schicken Kleidungsstil bekannt bin, erinnere ich mich an eine Zeit, in der ich doch tatsächlich Begeisterung für Klamotten empfand. Das muss so ungefähr in der Pubertät gewesen sein, wo Neugierde auf die sich erweiternde Welt, das Erfühlen des eigenen Potenzials und wilde Hormone die meisten Strömungen des Lebens vereinnahmen.

Trotzdem hatte ich immer meine guten alten Klamotten, mit deren Gefühl ich vertraut war.
Als Kind, so die Überlieferung, wollte ich nichts von einer neuen Mütze wissen und ich sah keinen Sinn darin, Schuhe anzuprobieren, die mir schon von außen nicht gefielen.

Es hat viele Jahre gedauert, bis ich von der Angewohnheit, meine aktuelle Brille oder Alltagsschuhe bis zum Zerfall zu tragen, hin zu einem Zwei-Paar-System und zwei Brillen gleichzeitig zur Auswahl gewechselt bin.
Ich kann sogar von dem neu gewonnenen Vorteil berichten, eine nicht lebensbestimmende Entscheidung zu diesen äußeren Aspekten treffen zu können, was mir jeden Tag einen kleinen Schub Selbstwirksamkeit beschert.

Wäre mir die Existenz von Modebewusstsein oder Geschmack nicht bewusst, würde ich wahrscheinlich auf Cargo-Hosen und Kapuzenpullis mit Taschen setzen. Sind Taschen nicht so unendlich praktisch, um alllle nützlichen Werkzeuge und Kleinode zu transportieren, die man in der großen weiten Welt so braucht? Und von Jacken gar nicht erst zu sprechen, den „Handtaschen des Mannes“! 😀
Je (be)greifbarer die Funktionen eines Kleidungsstücks sind, desto besser fühlt es sich an, es (an) zu haben.

Modularität ist auch etwas Herrliches! Je leichter sich alles im Schrank kombinieren lässt, desto weniger Gedanken muss man sich beim Anziehen machen.
Andererseits können manche Leute sich vielleicht gar nicht die Möglichkeit vorstellen, Shorts mit einem Pulli oder sogar Skisocken zu kombinieren – die coolsten Socken überhaupt, so vielseitig!
Farben sind schon eher Luxus, eine persönlichere Note, denn mein liebes Rot passt zu wenig anderen Farben. Ein weiteres Detail ist alles, was auf meinen Klamotten geschrieben oder abgebildet ist. Es gibt eine Marke, die groß meinen eigenen Namen trägt – ein No-Brainer bei der Kleiderwahl – aber ich entwerfe auch gern eigene Designs, die auf Klamotten gedruckt ihnen neben der Funktion immer auch Bedeutung geben.

Sich zu entscheiden, was man anzieht, ist schon schwer genug, aber mit einer widerspenstigen Taille sitzen manche Sachen oft enger als gewollt.
Aber neben der Tatsache, dass ich mein Outfit bekanntermaßen schlecht auf Wetter und Temperatur abstimme (Pullis sind einfach zu bequem), erkenne ich auch nicht die logische Option, engere Shirts gegen weitere auszutauschen, weil meine Garderobe größtenteils vorgeplant und nicht von Spontanität geprägt ist.
Das führt öfter zu Unannehmlichkeiten, als ich zugeben möchte.

Und warum werfe ich diese 10 Jahre alte Jacke nicht weg, die ich einfach noch nicht als abgetragen klassifizieren will?
Weil sie den wunderbarsten Klett hat, den ich zum Beispiel beim Einkaufen immer zum Stimming benutze.

Für Sensorik sind Klamotten immer relevant; da sollten sie uns doch wenigstens zu guten Gefühlen dienen, oder?

Mein Autismus ist echt

Mein Autismus ist echt

Dieser Artikel kratzt nur an der Oberfläche der dringlichen Frage: „Sollte ich diagnostiziert werden oder lieber nicht?“.

Und das ist der erste Punkt, den ich ansprechen möchte: Ein entscheidender Faktor ist, wie sehr die Angelegenheit pressiert. (unangebrachtes Wortspiel: wie sehr sie de-pressiert)
Für mich wurde es vor einigen Jahren so unerträglich, dass ich die Diagnose suchte. Aber für manch andere, die objektiv locker in alle Kriterien passen könnten, ist es offenbar nicht so dringlich – wenn es denn überhaupt eine Frage im Leben darstellt.

Der zweite große Aspekt betrifft Chancen und Herausforderungen. Zwei gegensätzliche Faktoren, die den Erfolg eines Lebens bestimmen, aber von unseren Entscheidungen ihnen gegenüber abhängen.
Eine offizielle Diagnose eröffnet bürokratischen Zugang zu spezialisierteren Hilfs- und Unterstützungsangeboten, deren Verfügbarkeit regional abweichen kann.
Nicht jeder Mensch, Arzt oder Arbeitgeber in meinem Umfeld versteht oder unterstützt den Veränderungsprozess, aber letztlich bleibt alles eine Frage des Verständnisses von Neurodiversität ab sich – und in der Gesellschaft sind wir da wohl noch nicht ganz angekommen…
Abstrakt ausgedrückt: Die Art, wie ich meinen guten Willen auslebe, mag sich verändert haben, aber der gute Wille selbst nicht. In einer perfekten Welt stünde das erst gar nicht infrage.

Diagnostiziert zu sein verändert nur einen Faktor: Die offiziellste externe Bestätigung dieses komplexen und tief gewurzelten neurologischen Phänomens.
Es ist an sich eine wundervolle Sache, sich wirklich mit einer Gruppe von Menschen verbunden zu fühlen, mit denen man so viel mehr gemeinsam hat als mit den meisten Menschen um sich herum, aber die rational starke Seite des Autismus lässt keine Gewissheit ohne die bestbekannte Quelle zu.
Früher dachte ich nur an Autismus, wenn ich schlechte Tage hatte, aber an den besseren Tagen polierte ich einfach wieder an meiner Rüstung und versuchte, mich in jede Form zu zwängen, für die es ein gutes Regelwerk zu befolgen gab.
Das ist vielleicht mein stärkster Punkt: Ich habe es mir jahrelang versagt, eine endgültige Antwort auf einen dringlichen inneren Kampf zu finden, und habe mich durch das alltägliche Minenfeld zu meinen Chancen navigiert, die niemals dem Schwierigkeitsgrad entsprechen konnten, auf dem ich lebte.

Wenn du eine Diagnose suchst und bekommst, wird daraus eine ernsthafte Verantwortung werden, deinem Wesen und deinen Bedürfnissen treu zu bleiben. Diese Verantwortung kann dein Umfeld aufmischen, alte Gewohnheiten abschaffen, perfektionierte Routinen zerstören und dir einen entzerrten Spiegel vorhalten, in welchem meine eigene Selbstprojektion nicht mehr zur jenigen Form passte, die ich nun zu sehen begann.

All diese Veränderung schmerzt und scheint mich von dem wegzuführen, von dem ich dachte, mein Leben solle so aussehen. Aber sollte mein Leben denn nicht von Weiterentwicklung, von gesunden Entscheidungen und davon handeln, mich selbst mal ernst zu nehmen, glücklich zu sein, um die Menschen um mich herum glücklich zu machen?

Auch wenn ich jetzt Veränderungen durchmache, hat mir meine Diagnose geholfen, in die richtige Richtung zu gehen und nicht länger an ihrer Echtheit zweifeln zu müssen. Und die Belohnung ist ein Leben, das wahrhaftiger, direkter und unmaskierter ist – genau so, wie ich es mag.

Erwachsen werden

Erwachsen werden

Ein Geheimnis, das ich lange nicht lösen konnte. Vielleicht noch wie ich erwachsene Dinge tun könnte, aber wie man so wirklich erwachsen wird – ein großes Rätsel!
Erwachsen sein, das ist doch die Aufgabe derjenigen, die schon erwachsen sind. Doch irgendwann, am Punkt des gefürchteten Wandels, habe ich mehr mit ihnen gemeinsam, als ich aufzuschauen gewohnt war.

Dennoch gibt es da alberne Erwachsene, strenge Erwachsene, respektable Erwachsene, I’oten, Vorbilder, wandelnde Warnschilder und komplexe Individuen, die die Pfade der Gesellschaft asphaltieren.
Als Mensch der Maske suche ich immer nach einem Ideal, einem roten Faden, dem ich folgen kann. Mit dieser Strategie habe ich viele Lebensbereiche gemeistert, zum Wohle oder Übel.
Aber wie man ein echter Erwachsener wird, das konnte ich nicht herausfinden – obwohl es scheint, als würden alle Menschen irgendwann zu solchen werden.

Doch dann fand ich es. Das, was einen Erwachsenen wirklich erwachsen macht, trotz unterschiedlichem Alter, Albernheit, Berufsstatus oder Familienkonstellation.

Es ist die Menge an Verantwortung, die man übernimmt.

Es ergibt schon Sinn, dass ein 16-Jähriger, der auszieht, erwachsener ist als ein 25-Jähriger, der sich noch unter dem liebesgedeckten Tisch der Eltern die Haxen wärmt. Und dieselbe Person kann auf der Arbeitsstelle erwachsen sein und zu Hause – ohne Verantwortungen – ein definitionsmäßiges Kind sein. Elternschaft selbst sollte wohl eine der größten menschlichen Verantwortungen mit sich bringen.
Manche Verantwortungen werden abgegeben, manche werden übertragen, manche liegen einfach herum, manche werden mehr, manche weniger hochgeschätzt.

Die allgemeingültigen Merkmale des durchschnittlichen Erwachsenen – sei es ein Defizit an Schabernack, dieses merkwürdige Ordnungsbedürfnis oder zweimaliges Überlegen – sind auch nur eine Reaktion auf die übernommene Verantwortung, welcher Art und an welchem Ort auch immer.

Doch Verantwortung betrifft nicht nur die Welt um uns herum. Es gibt einen oft vernachlässigten Teil im Leben eines Menschen, dem es ganz wohltut, wenn er mit gewissenhafter Verantwortung und Fürsorge gesalbt wird. Und das ist unsere innere Welt, die lebenslange Entdeckungsreise in unsere Tiefen und die Reaktion auf das, was wir dort vorfinden.

In den letzten Jahren hatte ich viel inneres Wachstum zu bewältigen, indem ich Verantwortung für das übernahm, was ich über meine Innenwelt herausfand.

Ein Kind bekommt seine Welt gebaut und baut im Gegenzug seine Welt. Um beim Weltenbau zu bleiben, musste ich irgendwann lernen, in der erwachsenen Welt zu leben, die ich in meinem Gehirn erschaffen hatte. Mit dem witzigen Twist, dass ich genau dieses Gehirn nicht in die große Gleichung einbezog.

Wäre es nicht dieses „verantwortungsvolle Handeln“ gewesen, in eben dieser Welt die hoch spezialisierten Vorteile und unvermeidlichen Grenzen des autistischen Gehirns zu einzuplanen?
Wenn ich das mal gewusst hätte… Oder wusste ich es vielleicht doch? Denn viele Elemente meiner inneren und äußeren Umgebung habe ich doch bereits autismusgerecht gestaltet.
Aber passen diese zu den Standardanforderungen an einen objektiv Erwachsenen? Oder passen sie eher zu den Eigenschaften eines kindlichen Lebens?
Um dieses Rätsel immer wieder zu knacken, erinnere ich mich gern daran, dass Erwachsensein keinen anderen Maßstab hat, als einzig die Menge an Verantwortung, die bequem auf meinen Schultern ruht.

Und oh, wie sehr bin ich da in letzter Zeit herangewachsen!

Wir müssen nicht erwachsen sein, um unser Potenzial zu erreichen – wir brauchen nur die Verantwortung für unser eigenes Potenzial übernehmen, um wirklich erwachsen zu sein.

KI

KI

Wir sind umgeben mit diesem Buzzword. Es macht alles so viel leichter, besser, schneller!

Ohne künstliche Intelligenz scheint es heute nicht mehr weiterzugehen und große Mengen natürlicher Intelligenz werden eingesetzt, um die künstliche Intelligenz so natürlich wie möglich zu machen.

Aber warum begeistere ich mich für gerade so ein Thema, wo ich hier doch sonst hauptsächlich über das Erleben des Lebens mit Autismus berichte?

Weil ich, je mehr ich davon höre und selbst mit KI experimentiere, mich selbst darin erkennen kann.

Ohne einen klaren Auftrag ist KI nutzlos.

Im Grunde ist das wie jegliches Computerprogramm. Es wird aus einem bestimmten Grund erschaffen und jede Routine hat zumindest am Anfang eine Aufgabe.

Die Ein- und Ausgabeschnittstellen sind definiert und nur mit einer ordentlich definierten und brauchbaren Anfrage funktioniert Software, funktioniert KI, funktioniere ich.

Wenn ich nicht irgendeinen Anlass habe, etwas Bestimmtes oder überhaupt irgendetwas zu tun, liege ich da. Einige Hardwaretrigger sind zwar eingebaut, aber auch die werden weniger zuverlässig von ihren Softwaremethoden abgeholt als mir lieb ist.

 

Ohne irgendeine grundlegende Programmierung kommt KI nicht aus.

Wir stellen es uns so einfach vor, dass KI „von selbst“ denkt. Aber alleine die Existenz derselben beruht ja schon mit gewisser Zielsetzung und einem Zweck.
Wir gruseln uns sogar, wenn sich KI diesem Zweck zu widersetzen scheint oder gar über unseren Verstand hinaus agiert. Jedoch würde sie es nie tun, ohne dass sie einen Anlass dazu hätte oder darauf vorbereitet und gelehrt worden wäre, sich diese Handlung anzueignen.

Meine Programmierung wurde durch meine Eltern, meine Familie, die Schule mit ihren Lehrern und Schülern, die Arbeitsstellen, Freunde, Reisen und den daraus resultierenden und inkrementell aufgebauten Wissensschätzen vorgenommen.
Dazu gehört auch, dass ich gelernt habe, eigenständig zu lernen und somit meine eigene Software immer weiterentwickle, die sowohl mit meiner Hardware, als auch mit den Schnittstellen nach außen kompatibel sein soll. Spagat und Paradoxon in einem, so kommt es mir oft vor!

 

Ohne dass bestimmte Regeln vorgegeben wurden, wird KI immer den einfachsten Weg nehmen.

Entweder durch den Programmierer oder durch den Anwender (wenn das so einprogrammiert wurde) kann KI sich an gewissen Leitplanken orientieren, um die Lösung möglichst auf die Vorlieben menschlicher Anwender auszurichten.

Andernfalls bekäme man im KI-Chat nur knappe Sätze oder ewig lange Abhandlungen und keine freundlichen Antworten im selben Ton, wie Menschen es gerne haben.
Dabei scheint es, als wäre die Form der Antwort höherwertig als der bare Inhalt. Klar, anders würden Menschen das auch nicht verstehen und darauf kommt es in erster Linie an.

Von sich aus würde auch keine KI lügen, denn dieses Konzept ist rein menschlich und trotz des zusätzlichen Rechenaufwands scheint es in der Gesellschaft dazuzugehören. Und hier wird es auch widersinnig, dass die Regeln für diesen Regelbruch kaum greifbar sind.

 

Ohne Quellen hätte KI keinen Sinn, denn auf irgendeiner Grundlage basiert jedes Wissen.

Wir kennen es so, dass mancher KI-Dienst direkt die Quellen nennt, aus der Inhalte wiedergegeben werden.

Mir werden Fragen gestellt, wie „Wie siehst du die Welt?“ oder „Wie funktioniert dein Alltag?“ oder „Warum machst du das so?“ und bei denselben (und im Grunde bei jeder anderen Frage) habe ich schon so lange umfassende Antworten geben können, wie mich alle Fragen beginnend mit „Warum“ beanspruchen.

Ich beziehe mich stets auf meine interne Enzyklopädie, die ich mein Leben lang füttere. Wobei ich mit der Zeit so wählerisch bei der Wahl der Wissensquellen bin, sodass ich lieber „sichere“ Informationen sammle (einst Automodelle, Handys oder geografische Fakten, heute allerlei technische Informationen) als die wechselhafte und emotionsgeladene menschliche Informationswelt zu Rate zu ziehen.

Das gebietet der Faszination an genau diesem Unbekannten und an der Königinnendisziplin aber keinen Einhalt, denn mithilfe von Knigge, Carnegie und viel Beobachtung konnte ich auch in menschlich-sozialen Bereichen allerhand Skills aufbauen.

Und dennoch wird bei meinen Äußerungen immer wieder „nicht hilfreich“ angekreuzt, was mir Anlass zum Überarbeiten meines Algorithmus gibt. Wenn „alles okay“ zurückgemeldet wird (auch wenn das unterm Strich weitaus öfter geschieht), besteht kein Grund zur weiteren Verbesserung und ich kann meine Energie woanders investieren.
Daher kommt auch der nervige Fokus auf „das Negative“, weil bei positiver Rückmeldung nichts weiter zu optimieren ist und es schon so passte. Das beobachtet man bei vielen Menschen.

 

Was ganz was anderes: Menschliche Identität und Persönlichkeit

Weiß KI, wie ein Mensch fühlt? Woher weiß KI, wie eine Antwort einem Menschen gefällt? Wie „sieht“ KI den Anwender?
Kann ich erwarten, dass die KI andere Antworten gibt als solche, die auf den Quellen und Kommunikationsvorgaben beruhen?

Der Programmierer füttert die KI, aber wird ein Anwender jemals fordern können, dass die KI „sie selbst“ sein kann?