Erwachsen werden
Ein Geheimnis, das ich lange nicht lösen konnte. Vielleicht noch wie ich erwachsene Dinge tun könnte, aber wie man so wirklich erwachsen wird – ein großes Rätsel!
Erwachsen sein, das ist doch die Aufgabe derjenigen, die schon erwachsen sind. Doch irgendwann, am Punkt des gefürchteten Wandels, habe ich mehr mit ihnen gemeinsam, als ich aufzuschauen gewohnt war.
Dennoch gibt es da alberne Erwachsene, strenge Erwachsene, respektable Erwachsene, I’oten, Vorbilder, wandelnde Warnschilder und komplexe Individuen, die die Pfade der Gesellschaft asphaltieren.
Als Mensch der Maske suche ich immer nach einem Ideal, einem roten Faden, dem ich folgen kann. Mit dieser Strategie habe ich viele Lebensbereiche gemeistert, zum Wohle oder Übel.
Aber wie man ein echter Erwachsener wird, das konnte ich nicht herausfinden – obwohl es scheint, als würden alle Menschen irgendwann zu solchen werden.
Doch dann fand ich es. Das, was einen Erwachsenen wirklich erwachsen macht, trotz unterschiedlichem Alter, Albernheit, Berufsstatus oder Familienkonstellation.
Es ist die Menge an Verantwortung, die man übernimmt.
Es ergibt schon Sinn, dass ein 16-Jähriger, der auszieht, erwachsener ist als ein 25-Jähriger, der sich noch unter dem liebesgedeckten Tisch der Eltern die Haxen wärmt. Und dieselbe Person kann auf der Arbeitsstelle erwachsen sein und zu Hause – ohne Verantwortungen – ein definitionsmäßiges Kind sein. Elternschaft selbst sollte wohl eine der größten menschlichen Verantwortungen mit sich bringen.
Manche Verantwortungen werden abgegeben, manche werden übertragen, manche liegen einfach herum, manche werden mehr, manche weniger hochgeschätzt.
Die allgemeingültigen Merkmale des durchschnittlichen Erwachsenen – sei es ein Defizit an Schabernack, dieses merkwürdige Ordnungsbedürfnis oder zweimaliges Überlegen – sind auch nur eine Reaktion auf die übernommene Verantwortung, welcher Art und an welchem Ort auch immer.
Doch Verantwortung betrifft nicht nur die Welt um uns herum. Es gibt einen oft vernachlässigten Teil im Leben eines Menschen, dem es ganz wohltut, wenn er mit gewissenhafter Verantwortung und Fürsorge gesalbt wird. Und das ist unsere innere Welt, die lebenslange Entdeckungsreise in unsere Tiefen und die Reaktion auf das, was wir dort vorfinden.
In den letzten Jahren hatte ich viel inneres Wachstum zu bewältigen, indem ich Verantwortung für das übernahm, was ich über meine Innenwelt herausfand.
Ein Kind bekommt seine Welt gebaut und baut im Gegenzug seine Welt. Um beim Weltenbau zu bleiben, musste ich irgendwann lernen, in der erwachsenen Welt zu leben, die ich in meinem Gehirn erschaffen hatte. Mit dem witzigen Twist, dass ich genau dieses Gehirn nicht in die große Gleichung einbezog.
Wäre es nicht dieses „verantwortungsvolle Handeln“ gewesen, in eben dieser Welt die hoch spezialisierten Vorteile und unvermeidlichen Grenzen des autistischen Gehirns zu einzuplanen?
Wenn ich das mal gewusst hätte… Oder wusste ich es vielleicht doch? Denn viele Elemente meiner inneren und äußeren Umgebung habe ich doch bereits autismusgerecht gestaltet.
Aber passen diese zu den Standardanforderungen an einen objektiv Erwachsenen? Oder passen sie eher zu den Eigenschaften eines kindlichen Lebens?
Um dieses Rätsel immer wieder zu knacken, erinnere ich mich gern daran, dass Erwachsensein keinen anderen Maßstab hat, als einzig die Menge an Verantwortung, die bequem auf meinen Schultern ruht.
Und oh, wie sehr bin ich da in letzter Zeit herangewachsen!