Warum kann Oli Hochzeiten fotografieren?

Warum kann Oli Hochzeiten fotografieren?

Ich kann das scheinbar mühelos, nichts anderes wird von einem Fotografen erwartet.

Ich bereite mich sorgfältig vor, kläre mit dem Brautpaar alle Erwartungen, lege fest, was ich leisten werde, was nicht drin ist und stimme mich ab, sodass keine Enttäuschung möglich ist und dass jeder über Limitationen und Komplikationen Bescheid weiß. Ich gehe möglichst alle Locations vorher ab, spreche mit Beteiligten, lasse mich genau über alle Konstanten und Variablen des Tagesablaufs aufklären und stelle sicher, dass ich mich zu jeder Zeit am gewünschten Ort befinde.
Erst wenn ich mir dann 100%ig klar bin über meine Rolle, dann kann ich innerhalb dieser geklärten Rahmenbedingungen alles an Kreativität, Freude und Andersartigkeit herauslassen, denn ich fühle mich sicher und willkommen in der geschaffenen Umgebung.
Unvorhergesehenes berechne ich auch mit ein, indem ich für alle Szenarien unter Beachtung der Rahmenbedingungen vorausdenke. Das braucht viel Energie, aber die nehme ich mir von den Tagen davor und danach oder ich zahle die nach und nach nach.

Ein Glück aber, dass solche Tage nicht allzu oft vorkommen, möchte man dann sagen, dass das nicht mein Alltag ist.
Aber so viel anders ist ein solcher Hochzeitstag nicht, als alle anderen Tage die ich unter Menschen verbringe.

Zu jedem Tag und zu jeder Interaktion will ich vorbereitet sein, wissen, was mich erwartet, möchte mich willkommen fühlen und sicher in meinem Dasein.
Jede Verschiebung von Tagesinhalten, auf die ich stets vorbereitet bin, triggert eine Neuberechnung von Grund auf, und das kostet viel Energie. Aber auch die Angst vor einer solchen Änderung und das panische Vorausberechnen jeder Möglichkeit und wie ich darauf angemessen reagieren könnte, lastet schwer auf mir. Besonders wenn „Spontanität“ eine Anforderung ist, sind 3 von 4 CPU-Kernen alleine dafür reserviert.
Ich möchte ja eine gute Performance zeigen und alle Erwartungen an mich weiter erfüllen. Und das ist auf der Arbeit genauso intensiv wie wenn ich eine Hochzeit fotografiere, nur mit anderen Inhalten und Aktivitäten.
Nur ist es schwierig, 40 Stunden jede Woche eine Hochzeit zu fotografieren.
Es macht es leichter, wenn im Vorfeld zu jedem einzelnen Tag auf der Arbeit oder wenn ich Menschen treffe, feststeht, was mich erwartet, was von mir erwartet wird und wo meine Kreativität willkommen ist. Wenn die Abläufe verlässlich sind und ich Variablen von Konstanten unterscheiden kann, ist das eine unendliche Entlastung und ich kann meine Energie in Leidenschaft fließen lassen.

Ich bin ein guter Fotograf geworden; nicht nur, weil ich das Handwerk beherrsche, sondern weil ich jeden sozial geprägten Tag meines Lebens so verlebe, weil ich das Gefühl von diesen Tagen schon immer gekannt habe, immer gelebt habe.
Das war nie einfach, aber es schien der Weg zu sein, den alle gehen. Und da hineinzupassen war doch immer schon das große Ziel, die große Herausforderung.

So ein Tag als Fotograf ist einer der wenigen, an denen ich mir selbst, aber größtenteils kommt das von außen, das Gefühl erlaube, was an vielen Alltagstagen einfach fehlt: Anerkennung, etwas geleistet zu haben.

Ausgebrannt

Dieses Update ist keins von Stolz, aber dafür ein ehrliches.

In den letzten Wochen bin ich auf einen neuen Status meiner Batterien gestoßen: Absolute Entladung.
Selbst nach einiger Zeit fern von der Arbeit, was sonst einen Unterschied für Belastbarkeit und Mut zum Weitermachen brachte, wollten sie keine Energie halten.

Nach einigen turbulenten Neuberechnungen, was ich nun verändern könne um die unliebsame Situation zu lösen, musste ich zum Entschluss kommen, dass ich nicht zuerst Veränderung, sondern vielmehr Ruhe brauche.

Mir war bewusst, dass ich fortwährend zusätzliche Energie einsetze um die Maske aufrecht zu erhalten, was ich aus besten Stücken tat, denn diese Maske kann Menschen glücklich machen.
Aber auch trotz dessen, dass ich kaum jemals diese ausgegebene Energie zurückbekam, und so über die Zeit eine Energieschuld aufbaute, gewöhnte ich mich an diese Art zu leben.
Mit der Diagnose und einigen Erleichterungen im Leben konnte ich meinen Job und viele funktionelle Fähigkeiten erhalten. Nur die Verschuldung stieg stetig an, bis ich unter ihrem Gewicht nachgab und das Fass überlief.

Das ist ein Thema, das wichtiger ist als weithin angenommen im Autismus, und könnte ein Grund dafür sein, dass ohne Anpassungen Komplikationen im Leben vorprogrammiert sind, egal wie rund und optimiert die Maske ist. Ein klares Zeichen für Erschöpfung: Wenn man ein Nickerchen mitten am Tag braucht, obwohl man nicht auf der Arbeit war.

Die folgende Grafik zeichnet den Fall in meine Energieverschuldung über die vergangene Hälfte meines Lebens auf und zuletzt den großen Knall ganz rechts:

Ich bin nun wiederum auf der Reise in Richtung Hilfe und Rehabilitation, wo das Leben schwer und schwierig wird, was es für niemanden sein muss.

Alles, was ich über mich und meine Bedürfnisse und Stärken gelernt habe, wird mich beim Verfolgen eines geeigneten Lebensstils unterstützen, damit ich wieder ein wahres Gleichgewicht erlange und das auf Dauer.
Es gibt noch so viel, das ich tun möchte, und ich möchte dazu gerne fähig sein.

Alltag ist nicht die einfachste Sache

Alltag ist nicht die einfachste Sache

Eine gute Geschichte muss bestimmte Elemente besitzen: Bedürfnisse, Furcht und allerhand Eigenschaften vom Charakter, ein Ziel, ein Handlungsrahmen, ein wenig Reiberei.

Und was ist das Leben, wenn nicht eine Geschichte, die erzählt wird?
Für wessen Ohren sie bestimmt ist, können wir selbst entscheiden. Wessen Vorstellungen sie entsprechen soll, können wir selbst entscheiden, aber nicht immer frei wählen. Manche unserer Bedürfnisse suchen wir uns aus, für andere können wir jedoch nichts. Der Rahmen ist ein ganzes Themengebiet für sich, da er aus unzähligen Variablen besteht!

Reibereien entstehen dann, wenn Menschen sich nicht auf Augenhöhe und auch nicht auf einer gemeinsamen Ebene begegnen können.

Ziele.

Ziiiiiiele.

Zieeeeeele.

Ach, krasses Zeug sind die! Wenn man sich die setzt, ernsthaft aber, dann können die tatsächlich erreicht werden. Wenn man sich keine setzt, dann bleibt alles wie es ist (es gibt Menschen die das mögen). Die zur Auswahl stehenden Ziele mögen sich zwar mit jeder unserer Entscheidungen verändern, aber das könnte lange nicht so gruselig sein wie man vermuten könnte.

Aber ich möchte über die Ziele sprechen, die die meisten Menschen gar nicht als Ziele bezeichnen würden. Und auch viele neurodivergente Personen haben es noch nicht entdeckt, was man alles als Ziel bezeichnen kann. Wir erlauben es uns gar zu selten zu sehen, WIE VIELE Ziele wir jeden Tag erreichen!

Zuerst die einfach zu sehenden, mit ihrer jeweiligen Bedingung:

  • Arbeit ist leicht mit einer klaren Aufgabe, wenn sie denn klar ist und man ihre Vollendung jeden Tag ohne Zweifel erkennen kann

  • Reisen ist leicht mit einem klaren Reiseplan, wenn er denn die Bedürfnisse erfüllt (z.B. die eigenen, persönlichen Bedürfnisse)

  • Projekte sind leicht mit einem klaren Sinn, wenn sie denn nur eine definierte Ziellinie haben

  • Das Leben mit anderen Menschen ist leicht, wenn klar kommuniziert ist was richtig und wichtig ist, wenn man denen nur vertrauen kann

Aber leben wir denn nur für Arbeit, für Reisen, für Projekte, um das zu tun was andere gerne haben?
Gibt es da nicht diesen ganzen Bereich, der sich zeitweise wie ein Vakuum anfühlt, wo sich dumme krumme Tätigkeiten finden, von denen manche Menschen manche gerne machen, manche andere Sachen gar nicht machen und wieder andere komplett gegensätzliche Vorstellungen davon haben, wie wichtig die alle sind?

Was ist das Ziel von Wäschewaschen, von gesunder Ernährung, von Staubsaugen, von Geschirrspülen, von Waschbeckenputzen, von Leutetreffen, von Rausgehen, von Weiterbildung, von Aussortieren, von Mückennetzen?

Alltag halt.

Von klaren Dingen angezogen, fühlt sich diese manchmal buchstäblich graue Zone von Grauzonen an wie das Rätsel des Lebens selbst, wird immer nur größer und wirft neue Fragen über neuen Fragen auf, worauf man sich keinen Reim machen kann.

Mit Sicherheit wurden alle einmal aus gutem Grunde erfunden, entwickelt und eingeführt, aber gerade dieser scheint oft weniger ersichtlich als die Traditionen und das Gehabe, das aus angelernten Verhaltensweisen entstand.
Als ein Grundsatzdenker möchte ich stets das Warum verstehen, aber im Alltag ist das Warum zu oft hinter vielen Zwischenlagen und konkurrierenden Interessen verschleiert.

Ohne einen griffigen wahren Grund bemühe ich mich immer um eine naheliegende Sinnhaftigkeit für jede Aktivität, finde ein Überbrückungsziel, das mit meinen persönlichen Werten und den Elementen meiner Geschichte übereinstimmt.

Und wenn es mal keinen großen Bogen in meiner Geschichte zu durchleben gibt, fokussiere ich mich eben auf die kleineren, die ebenso dramatisch, befriedigend und glückbringend an und für sich sein können!

Es ist leicht, immer gesagt zu bekommen, was man tun soll. Der Grund, warum wir es tun, ist letztendlich glücklich zu sein. Und schnell zu Glück zu finden, wenn wir mal nichts vorgesagt bekommen, in unserer Freizeit, nach unseren eigenen Regeln, anhand einer ganz einzigartigen Geschichte, das ist eine beachtliche Kraft!

Du bist ja schon so ein kleiner Philosoph

Du bist ja schon so ein kleiner Philosoph

Das habe ich in meinem Leben schon öfter gehört. Und es stimmt, dass ich mir ohrenscheinlich viele Gedanken um viele „tiefgründige“ Sachen mache, ohne jemals aktives Interesse an Philosophie an sich gehabt zu haben.

„Bei Oli war schon immer alles nicht so einfach.“ meinte Papa reflektierend. Und ja, auch die Ausbildung zum Anwendungsentwickler war alles andere als ein Spaziergang.
Viel meiner Auffassungsgabe und der Erkennung von Mustern und Regeln konnte ich einsetzen, aber mit der bohrenden Frage „Warum?“ bei jedem weiteren Ding schien ich nicht in die richtige Richtung zu laufen.

Ich wollte schon immer Sachen auf den Grund gehen, wissen wie was funktioniert, welche Regeln wirklich gelten, wo ich mir ganz sicher sein kann. Bücher, Vorbilder und geduldige, vertrauenswürdige Personen und ein konstruktives Weltbild halfen da stets bei der Suche.

Das Warum hinter allem

Wir alle mögen es, wenn wir über Dinge nicht jedes Mal von vorne nachdenken müssen.
Dazu bedienen wir uns vorgefertigter Lösungen und Konzepte. Sprachkonstrukte, ethische Konventionen, aber auch Gesetze und Tradition stützen die Leichtigkeit im Alltag.

Nur während sich Menschen die meiste Zeit auf eben der Ebene bewegen, „die Dinge so zu nehmen wie sie sind“, bin ich da per Standard auf einer anderen Schiene unterwegs:
Die tiefere Bedeutung hat für mich den höheren Stellenwert, erst dann kann ich mir um die für alle ersichtlichen Dinge Gedanken machen.
Während die anderen Feiern gingen, machte ich mir Gedanken, warum man genau feiern gehen sollte und warum alle sich verhalten wie sie sich verhalten und warum ich das auch machen oder überhaupt können sollte. Während andere Filme zum Spaß schauen, beschäftige ich mich mehr mit dem Kunsthandwerk dahinter. Während in der 1. Klasse kurze Sätze vorgelesen werden sollten, wunderte ich mich, wozu das dienen solle. Wo die anderen sich Zeitgenossen suchten, sinnierte ich darüber, wie dieser Vorgang genau funktioniert. Wo manche einfach mal Sport machen, denke ich nur darüber nach, was nun die effektivste und vielfältig nützliche körperliche Betätigung für mich selbst ist. Dasselbe beim Essen, beim Haushalt, bei der Familie.

Fluch oder Segen?

Die Antwort, warum ich etwas tue, entscheidet maßgeblich darüber, wie ich mich dabei fühle und wie mein Leistungswille ist. Mehr noch, der seelische Schmerz und das Unbehagen ist unerträglich, wenn ich nicht ein gutes Warum habe und trotzdem etwas angehe.

Ohne ein Bewusstsein, was hinter einer Sache steckt, kann ich nicht gut leben. Ohne ein schlüssiges Narrativ, und dasselbe kann sich leider allzu schnell wandeln über den Tag, kommt es mir vor, als ginge meine Welt zuende.

Diese Herangehensweise und darüber zu reden (zu „philosophieren“) hat mir zwar schon viel ermöglicht und mich augenscheinlich weit gebracht, jedoch trennt sie mich auch nicht selten merklich von meinen Mitmenschen.

Aber Entwarnung: Ich habe das große große Glück, dass ich für die meisten Bereiche schon eine runde Philosophie oder zumindest eine Erklärung für mich persönlich aufgestellt habe. Besonders in der Königsdisziplin der zwischenmenschlichen Kommunikation. Meine Antworten sind teils sogar so gut, dass meine Lebensweise andere inspirieren und bereichern darf. Dafür bin ich sehr dankbar und das ist der schönste Lohn!

Und mehr noch: Dank meiner Gabe, sprachlichen Ausdruck zu beherrschen, darf ich diese vielen Philosophien, Theorien, Algorithmen und für mich zugänglichen unterliegenden Konzepte teilen und schriftlich manifestieren.

Die Schwere der Philosophie ist also eine, die zwar für den Menschen wohlklingend und erbaulich ist, aber die als ständig verspürte Perspektive nicht spurlos bleibt…

Theaterstück

Theaterstück

Mein Leben fühlt sich an vielen Tagen an wie ein Wirbelwind, den ich bekämpfen muss um fortzubestehen.

Viele Menschen mit Autismus nutzen ihre Masken, das sogenannte Scripting und Methoden ihre Begegnungen und täglichen Aufgaben zu gestalten, um den Wirbel einzudämmen und im allerbesten Falle den Wind für sich arbeiten zu lassen.

Manche von uns, ich zum Beispiel, haben immer schon eine gewisse Sehnsucht verspürt. Beim Schauen von Serien oder Filmen, beim Musikhören oder beim Miterleben einer Bühnenperformance.
Ich fühle dann eine Lust, alle diese Gefühle auch fühlen zu können, mich einfach von der Emotion überkommen zu lassen und heulen, jauchzen, flennen oder lachen zu können, mit dem klaren Grund den die Szene liefert.

Nur gibt der Alltag selten, wenn überhaupt, eine solche klare Gelegenheit. Es gibt diesen Rahmen aus reinem grünem Licht einfach nicht, in dem wir nach Herzenslust fühlen könnten.
Da sind viele Zielsetzungen, Regeln, Gebahren in dem jeweiligen Raum, andere dazwischenfunkende Gefühle, Verhältnisse zu den Menschen rund um uns herum und wenn wir diese Elemente nicht identifizieren können: Ein Wirbelwind aus Verwirrung.

Eine Sache, von der ich denke, dass sie sehr oft im Bezug auf Autisten falsch verstanden wird: Wir fühlen so so so viel. Wir fühlen so stark, so allumfassend, so bar und heftig, dass unser Lebensinhalt ein einziges Bändigen dieses unaufhörlichen Gefühls-Tsunamis zu sein scheint.
Wir legen schon von Kindesbeinen unsere Rüstung mit ihren vielen Lagen an, um uns einzufinden und uns und andere vor den Konsequenzen der wahnsinnig intensiven Gefühlsregungen in uns zu schützen.

In den Zeiten, wo ich noch meine hochentwickelte Rüstung in voller Montur trug, bin ich ans Amateurtheater gekommen.
Ich bin Teil von so manchem Stück gewesen, mit einem wunderbaren Regisseur, einem immer lieben Ensemble und einem wieder und wieder begeisterten Publikum.

Es macht Spaß und ist ein schönes Hobby dem man nachgehen kann, eine Herausforderung und ein schönes Ventil, die eigenen Gaben zu erforschen.

Aber zu wenig war mir klar, dass ein Theaterstück nicht ohne Gründe eine Komfortzone für mein Inneres ist:

  • Es gibt ein Skript

  • Jemand sagt mir genau, wie ich mich verhalten soll

  • Es ist mit keinen großen Überraschungen zu rechnen

  • Jede Szene wird mehrfach geprobt

  • Ich kann aus meiner Rüstung schlüpfen und jemandes anderen Maske anlegen

  • Es gibt einen sicheren Rahmen, jegliche gegebenen Dinge in einer geschlossenen Umgebung zu fühlen

  • Alles was einen umgibt steht fest und hat einen bestimmten Sinn

  • Für eine kurze Zeit kann es so sein, wie man es gerne hätte um die eigene Geschichte täglich voranzubringen