Du bist ja schon so ein kleiner Philosoph

Du bist ja schon so ein kleiner Philosoph

Das habe ich in meinem Leben schon öfter gehört. Und es stimmt, dass ich mir ohrenscheinlich viele Gedanken um viele „tiefgründige“ Sachen mache, ohne jemals aktives Interesse an Philosophie an sich gehabt zu haben.

„Bei Oli war schon immer alles nicht so einfach.“ meinte Papa reflektierend. Und ja, auch die Ausbildung zum Anwendungsentwickler war alles andere als ein Spaziergang.
Viel meiner Auffassungsgabe und der Erkennung von Mustern und Regeln konnte ich einsetzen, aber mit der bohrenden Frage „Warum?“ bei jedem weiteren Ding schien ich nicht in die richtige Richtung zu laufen.

Ich wollte schon immer Sachen auf den Grund gehen, wissen wie was funktioniert, welche Regeln wirklich gelten, wo ich mir ganz sicher sein kann. Bücher, Vorbilder und geduldige, vertrauenswürdige Personen und ein konstruktives Weltbild halfen da stets bei der Suche.

Das Warum hinter allem

Wir alle mögen es, wenn wir über Dinge nicht jedes Mal von vorne nachdenken müssen.
Dazu bedienen wir uns vorgefertigter Lösungen und Konzepte. Sprachkonstrukte, ethische Konventionen, aber auch Gesetze und Tradition stützen die Leichtigkeit im Alltag.

Nur während sich Menschen die meiste Zeit auf eben der Ebene bewegen, „die Dinge so zu nehmen wie sie sind“, bin ich da per Standard auf einer anderen Schiene unterwegs:
Die tiefere Bedeutung hat für mich den höheren Stellenwert, erst dann kann ich mir um die für alle ersichtlichen Dinge Gedanken machen.
Während die anderen Feiern gingen, machte ich mir Gedanken, warum man genau feiern gehen sollte und warum alle sich verhalten wie sie sich verhalten und warum ich das auch machen oder überhaupt können sollte. Während andere Filme zum Spaß schauen, beschäftige ich mich mehr mit dem Kunsthandwerk dahinter. Während in der 1. Klasse kurze Sätze vorgelesen werden sollten, wunderte ich mich, wozu das dienen solle. Wo die anderen sich Zeitgenossen suchten, sinnierte ich darüber, wie dieser Vorgang genau funktioniert. Wo manche einfach mal Sport machen, denke ich nur darüber nach, was nun die effektivste und vielfältig nützliche körperliche Betätigung für mich selbst ist. Dasselbe beim Essen, beim Haushalt, bei der Familie.

Fluch oder Segen?

Die Antwort, warum ich etwas tue, entscheidet maßgeblich darüber, wie ich mich dabei fühle und wie mein Leistungswille ist. Mehr noch, der seelische Schmerz und das Unbehagen ist unerträglich, wenn ich nicht ein gutes Warum habe und trotzdem etwas angehe.

Ohne ein Bewusstsein, was hinter einer Sache steckt, kann ich nicht gut leben. Ohne ein schlüssiges Narrativ, und dasselbe kann sich leider allzu schnell wandeln über den Tag, kommt es mir vor, als ginge meine Welt zuende.

Diese Herangehensweise und darüber zu reden (zu „philosophieren“) hat mir zwar schon viel ermöglicht und mich augenscheinlich weit gebracht, jedoch trennt sie mich auch nicht selten merklich von meinen Mitmenschen.

Aber Entwarnung: Ich habe das große große Glück, dass ich für die meisten Bereiche schon eine runde Philosophie oder zumindest eine Erklärung für mich persönlich aufgestellt habe. Besonders in der Königsdisziplin der zwischenmenschlichen Kommunikation. Meine Antworten sind teils sogar so gut, dass meine Lebensweise andere inspirieren und bereichern darf. Dafür bin ich sehr dankbar und das ist der schönste Lohn!

Und mehr noch: Dank meiner Gabe, sprachlichen Ausdruck zu beherrschen, darf ich diese vielen Philosophien, Theorien, Algorithmen und für mich zugänglichen unterliegenden Konzepte teilen und schriftlich manifestieren.

Die Schwere der Philosophie ist also eine, die zwar für den Menschen wohlklingend und erbaulich ist, aber die als ständig verspürte Perspektive nicht spurlos bleibt…

Theaterstück

Theaterstück

Mein Leben fühlt sich an vielen Tagen an wie ein Wirbelwind, den ich bekämpfen muss um fortzubestehen.

Viele Menschen mit Autismus nutzen ihre Masken, das sogenannte Scripting und Methoden ihre Begegnungen und täglichen Aufgaben zu gestalten, um den Wirbel einzudämmen und im allerbesten Falle den Wind für sich arbeiten zu lassen.

Manche von uns, ich zum Beispiel, haben immer schon eine gewisse Sehnsucht verspürt. Beim Schauen von Serien oder Filmen, beim Musikhören oder beim Miterleben einer Bühnenperformance.
Ich fühle dann eine Lust, alle diese Gefühle auch fühlen zu können, mich einfach von der Emotion überkommen zu lassen und heulen, jauchzen, flennen oder lachen zu können, mit dem klaren Grund den die Szene liefert.

Nur gibt der Alltag selten, wenn überhaupt, eine solche klare Gelegenheit. Es gibt diesen Rahmen aus reinem grünem Licht einfach nicht, in dem wir nach Herzenslust fühlen könnten.
Da sind viele Zielsetzungen, Regeln, Gebahren in dem jeweiligen Raum, andere dazwischenfunkende Gefühle, Verhältnisse zu den Menschen rund um uns herum und wenn wir diese Elemente nicht identifizieren können: Ein Wirbelwind aus Verwirrung.

Eine Sache, von der ich denke, dass sie sehr oft im Bezug auf Autisten falsch verstanden wird: Wir fühlen so so so viel. Wir fühlen so stark, so allumfassend, so bar und heftig, dass unser Lebensinhalt ein einziges Bändigen dieses unaufhörlichen Gefühls-Tsunamis zu sein scheint.
Wir legen schon von Kindesbeinen unsere Rüstung mit ihren vielen Lagen an, um uns einzufinden und uns und andere vor den Konsequenzen der wahnsinnig intensiven Gefühlsregungen in uns zu schützen.

In den Zeiten, wo ich noch meine hochentwickelte Rüstung in voller Montur trug, bin ich ans Amateurtheater gekommen.
Ich bin Teil von so manchem Stück gewesen, mit einem wunderbaren Regisseur, einem immer lieben Ensemble und einem wieder und wieder begeisterten Publikum.

Es macht Spaß und ist ein schönes Hobby dem man nachgehen kann, eine Herausforderung und ein schönes Ventil, die eigenen Gaben zu erforschen.

Aber zu wenig war mir klar, dass ein Theaterstück nicht ohne Gründe eine Komfortzone für mein Inneres ist:

  • Es gibt ein Skript

  • Jemand sagt mir genau, wie ich mich verhalten soll

  • Es ist mit keinen großen Überraschungen zu rechnen

  • Jede Szene wird mehrfach geprobt

  • Ich kann aus meiner Rüstung schlüpfen und jemandes anderen Maske anlegen

  • Es gibt einen sicheren Rahmen, jegliche gegebenen Dinge in einer geschlossenen Umgebung zu fühlen

  • Alles was einen umgibt steht fest und hat einen bestimmten Sinn

  • Für eine kurze Zeit kann es so sein, wie man es gerne hätte um die eigene Geschichte täglich voranzubringen

Ändern oder verändern

Ändern oder verändern

Von allen gegensätzlichen Verhaltensweisen, die ich mich an den Tag legen sehe, fasziniert mich mein Verhältnis gegenüber Änderungen wohl doch am durchgehendsten.

Wenn Autismus einen Geisteszustand beschreibt, der klinisch bewiesen anders als die Welt um ihn herum ist, wird jede Einflussnahme auf ihn ein sehr bedeutsamer und zutiefst sensibler Akt sein.

Unterbrochene Routinen, plötzliche Abänderungen des durchgeplanten Tages, zusätzliche Faktoren, ein Unfall oder ein unvorhergesehener Verlust des Energielevels können eine Reihe unglücklicher Folgen haben, die nur all zu selten elegant verarbeitet werden.

Auf der anderen Seite bin ich nicht ohne Grund dafür bekannt, anders zu sein: Denn ich mache viele Dinge anders und mag es, neue Lösungen zu entwicklen und fordere fröhlich die Regeln und Grenzen heraus, die ich kennenlerne.

Ich habe zwei Arten von Änderungen bemerkt, die so weit voneinander entfernt sind, wie sie sich auf meiner Sympathieskala zeigen:

  • Ich fürchte, lehne ab, habe Angst vor und umgehe: Änderungen

  • Ich liebe, genieße, blühe und manchmal bürde ich anderen mehr oder weniger spielerisch auf: Veränderungen

Was unterscheidet sie nun so kritisch?

Es ist die Quelle der Änderung und die Art, wie sie in meine Welt gelangt.

Es gibt immer Regeln und Grenzen und Ziele und Begründungen. Also muss alles was ich tue auch einen Grund haben, auf natürliche Weise.
Dieser Grund für alles ist etwas, gegenüber dem ich schon seit jeher extrem sensibel bin. Wenn ich nicht einen Grund für etwas sehe, reagiere ich oft sehr unangemessen. Glücklicherweise haben meine Eltern eine Welt für mich geformt, die greifbare Gründe und eine Erklärung für so gut wie alles liefert.

Wenn nun mein Tag oder eine bestimmte Zeitspanne vorbereitet ist, heißt das, dass meine Gründe und alle dazugehörigen Faktoren ausgerichtet und ausbalanciert sind, um meine Funktion zu gewährleisten.

Und dann kommt eine Änderung: Diese kommt von außen und wenn ich noch keine vorgefertigte Lösung für diese Änderung habe (den Aufprall komplett herausfiltern, dieses exakte Szenario bereits bedacht haben, für Unvorhergesehenes vorgesorgt haben), werde ich von Anfang an neu ausrichten müssen.

Ich werde die Natur und die Größe der Änderung gegen meinen ganzen Satz von Gründen, aktuellen Auffasungen, großen und kleinen Zielen, meinem Verhältnis zu jedem involvierten Faktor (lebend oder nicht) abwägen und ich werde so schnell ich kann alle diese Dinge ausbalancieren, um wieder funktionieren zu können.
Und wohl mir, wenn ich einen guten Grund dafür habe, WARUM ich überhaupt wieder funktional sein möchte..!

Beispiele dafür: Eine spontane Änderung der Sitzplätze im Büro, mehr Personen als erwartet kommen zu Besuch, die Bahn wirft den Reiseplan über den Haufen, es gibt eine der vorher ausgewählten Speisen im Restaurant nicht, es werden Getränke zur Auswahl angeboten, wo man es nicht erwartet hätte.

Aber nun zur schöneren Seite: Wenn ich einen guten Grund sehe, etwas anders zu tun, natürlich im Einklang mit allen meinen aktuellen Auffassungen, bekannten Regeln und Ideen die sich in meinem Kopf finden, liebe ich es einfach, das dann zu verändern und das Leben ein wenig leichter, lustiger oder bedeutungsvoller zu machen.

So sehr ich auch innerhalb von Rahmen denke und lieber nach festen Dingen suche, so gut kann ich auch erkennen, was da außerhalb der Grenzen liegt und welche Regel womöglich gar keinen Rückhalt hat.

Eine Sache, die mich dabei stets zurückhalten möchte, sind meine Routinen. Dieselben spielen eine RIESENGROẞE Rolle darin, mich überhaupt erst funktional zu machen.
Eine Routine zu verändern, so geringfügig und so positiv es sein mag, braucht einen gewissen Puffer im Energielevel, nebst aller Begründung.

Ein guter Grund kann auch jemand sein, dem wir vertrauen. Solange wir uns sicher sind, dass diese Person selbst gute Gründe birgt. Aber das wird schwerer, wenn man erwachsen wird. Wer wird uns dann vorsagen, was auf dieser unkontrollierbar rotierenden Welt wir tun sollen?
Du wirst es dir selbst sagen. Nur ist die Gewaltenteilung innerhalb von uns Menschen eher schwach, was sich dann in den exekutiven Funktionen zeigt…

Ich würde mich selbst gerne klonen, in ein Wesen dass mir alle richtigen Dinge vorsagt und ich könnte dann einfach ein glückliches Leben führen. Aber das muss alles in einem selbst gemacht werden. Vielleicht weiß auch gar keiner, wie das wirklich funktioniert.
Das ist wie dieser psychologische Trick, bei dem einem weiß gemacht wird, es wäre die eigene Entscheidung, damit man sich damit gut fühlt. Das müsste es sein, was die ganze Zeit in unseren Köpfen vor sich geht.

Ohne die großen Mengen an Energie, die ich durch die neue Art zu arbeiten spare, und den vielen gelösten Fragen im letzten Jahr, hätte ich niemals meine Wohnsituation so verändern können mit allen quirligen kleinen Veränderungen dadrin. Und dennoch fürchte ich mich vor jeder Änderung, die mir entgegenkommt, die ich nicht kontrollieren kann.

Ich mag mutig erscheinen, aber es ist einfach nur die ausreichende Menge an Dingen von denen ich weiß und die überschüssige Energie, die mich Großes schaffen lassen. Wenn die beiden Dinge nicht da sind, halte ich mich lieber an mein altes Leben, wo ich Aussicht auf Änderung bewusst gering hielt.

Schuld

Das Gefühl der Gewissensbisse, wenn man Erwartungen durch eigene Unzulänglichkeit nicht erfüllt hat.

Ich bin einfach geflohen. Ich konnte nicht ordentlich funktionieren und es gab 1000 Gründe dafür. Keinen konnte ich aber aussprechen, denn keiner von ihnen war der eigentliche Grund. Es fing vielleicht mit einem einzigen an, aber ich könnte ihn nicht identifizieren, denn jeder weitere Grund wird je komplizierter, desto mehr Gründe in die Mischung gelangen und jeglichen Sicherheitsmechanismus außer Kraft setzen.

Ich wollte ja so gerne meine besten Seiten zeigen und alle Indizien guter Erlebnisse mit mir treffen.
Aber dann: Etwas ändert sich, ein paar Faktoren kippen, ich bin nicht mehr vollständig vorbereitet und muss nun zusätzliche Energien aufwenden um in der neuen Situation klarzukommen.

Das Gefühl von Schuld ist hässlich, kann aber gelöst werden.

 

Schuldgefühle

Schande.

Du hast es nicht geschafft! Du hast verloren! Du bist dem nicht gewachsen. Du passt da nicht rein. Wohin gehörst du?

Und warum hast du es nicht schaffen können? Eine gute Zeit mit Leuten haben, was ist so schwer daran? Sonst schaffst du das ja auch, warum jetzt nur nicht?

Warum funktionierst du nicht auf Kommando? Was sollte so groß, so schwer, so brutal sein, dass es dich nicht deine besten Seiten zeigen lässt?

Was ist dein Plan, was ist die Logik hier? Wie kannst du denn schöne Bindungen aufbauen, wenn du auf einmal kaum mehr redest? Was ist dein Ziel mit deinem Verhalten?

Was ist mit deinen guten Tagen, kannst du nicht mehr so sein wie an denen?

 

Erwartungen

Wie MÖCHTEST du es denn haben?

Es kommt drauf an, wie immer halt. Mein Leben besteht aus den externen Faktoren und dem, was ich selbst mitbringe.
Manche Dinge können verändert werden, manche Dinge können nicht geändert werden, manche Dinge sind nicht einfach zu ändern.

Wir mögen alle bestimmte Dinge und sollten uns darauf einstellen, andere diese Dinge erlebbar zu machen. Angefangen bei grundsätzlicher menschlicher Wärme, bis hin zu selbstlosen guten Taten.

Es gibt zu jeder Zeit Erwartungen, versteckt, impliziert, klar ausgesprochen, manchmal auch nur projiziert, von mir selbst, auf mich selbst. Es braucht ein extremes Level an Selbstreflexion, um letztere zu erkennen.

So sehr diese Erwartungen auch von der Situation abhängig sind, kann man sie entweder erfüllen oder nicht erfüllen.

Erwartungen zu erfüllen wird oft als selbstverständlich angesehen, aber wenn ich eine nicht erfüllen kann, entsteht ein Loch was mit einer Erklärung gefüllt werden möchte:
Was war der Grund? Finde ich es in Ordnung, die Erwartung nicht erfüllt zu haben? Lerne ich etwas aus der Situation? Beeinflusst diese Situation mein Wohlbefinden?

Aha!
Um diese Fragen gut zu beantworten, muss ich meine Werte kennen, auch bekannt unter den Dingen die mir wichtig sind.

Jedoch ist das nahezu unmöglich, ohne mich auch nur ein kleines Bisschen selbst zu kennen.

 

Unzulänglichkeiten

Wir sind alle nicht perfekt. Kein Zweifel, alle stolpern.

Da liegt der individuelle und ultimative Unterschied aber in der Verarbeitung dieser Unzulänglichkeit, was wiederum sehr dicht damit verbunden ist, wie wir dieselbe vor uns selbt erklären.

Die Mehrheit der Menschen führt ein Fehltritt im täglichen Leben zu ähnlichen Erklärungen und damit auch zu ähnlichen Weisen, damit umzugehen.

Aber da gibt es Menschen die im tiefsten Inneren anders funktionieren, was Auswirkungen auf das Verhalten und die Verarbeitung der äußeren Einflüsse hat. Das betrifft Menschen mit Autismus, wie mich selbst.

 

Eine Lösung?

Schuld spielt eine große Rolle in den Leben autistischer Menschen.
Alles hierüber habe ich in der Gewissheit geschrieben, von dem Phänomen betroffen zu sein.

Und eben das ist genau der Grund, warum die erbarmungslosen Schuldgefühle weitestgehend ein Ding der Vergangenheit geworden sind.
Ich kenne nun meine Bedürfnisse, ich kann Erwartungen an mich selbst korrekt setzen und kann mit anderen, die sonst aus meiner Sicht einfach für alle Regeln verantwortlich waren, zusammenarbeiten und die Erwartungen abklären.

So oft musste ich dasitzen und konnte mir keinen Reim auf meine Gefühle machen, nach dem ich von einer Situation mit aus menschlicher Sicht akzeptablen Erwartungen überwältigt gewesen bin.
Ich fühlte mich schuldig, ohne mir das einzugestehen und dann korrekt darauf zu reagieren. Es ist eine gefährliche Kraft, von einer Sache auszugehen als ob sie so sein müsse, ganz ohne sie nach den eigenen Werten zu hinterfragen.

Aber das Erkennen der eigenen Funktionsweise ist eine sehr schwer zu erlangende. Dazu noch, ein ganz anderes Thema, die Zielsetzung des eigenen Lebens.

Ganz ab davon ist es nur das eine Ding, das Verständnis meiner eigenen Natur gegenüber, was mein Leben immens verbessert hat. Nicht ohne Hilfe und nicht ohne Tränen und nicht ohne Schmerzen ging das zu.

Und einer kann beachtliche Strecken gehen, wenn er weiß welche schmerzvolle Veränderung zum Guten dient und welche Ungemütlichkeit er nicht tolerieren muss.

Ich muss mich immer noch mit Erwartungen auseinandersetzen, wie jeder, ich kann sie immer noch nicht alle erfüllen, wie keiner es kann, aber ich weißt jetzt viel besser warum.
Und das ist eine ziemlich gute Lösung für alle drückenden Fragen, die meinem Leben Schuld in die Schuhe schieben wollen.

Meine Welt

Aus meiner Perspektive, welche die einzige ist die ich vollstädnig einnehmen kann, findet mein Leben in meiner eigenen Welt statt.
Zwei große Worte, Leben und Welt, aber die gehören zusammen.

Das Leben ist linear, aber die Welt ist immer um uns herum.

Wenn ich mein Leben fülle, arbeite ich mit der Welt um mich herum zusammen und mache sie so zu meiner Welt aus meiner Sicht.

Diese Welt besteht aus den Leben vieler anderen, welche eine Gesellschaft formen können oder eine Familie oder einfach Umstände.

 

Wie groß ist meine Welt?

So weit ich mich strecken kann, ich mich bewegen kann, ich gehört werden kann.

 

Wem gehört meine Welt?

Jedem dem ich sie gebe.
Das ist nicht immer freiwillig, und auch sehr oft eine schwere Entscheidung.
Aber wenn es tatsächlich meine eigene Wahl ist, bin ich dann nicht in der Verantwortung, wer wo in meiner Welt ist?

Und welche Geschichte könnte ich erzählen, wenn ich nicht verantwortlich für den Großteil der Geschehnisse meines Lebens bin?

Gibt es Regeln in meiner Welt?

Sehr viele und ich mag das!
Regeln machen das Leben mit dem Leben anderer einfach: Je mehr ich lernen kann, desto besser kann ich mich in der Welt zurechtfinden und sie zu meiner eigenen machen, anstelle immer nur ein Gast in jemandes anderen Welt zu sein.

Manchmal braucht es so einige Zeit, bestimmte Regeln zu erkennen und auch alte über Bord zu werfen, an die ich mich einfach um der Stetigkeit Willen klammerte.
Das hat die Kraft, meine Welt umzuformen, weil sie auf Regeln basiert.

 

Was fange ich mit meinem Leben in meiner Welt an?

Gute Dinge.
Gute Dinge sind mehr als nur Dinge, die niemandem wehtun sollen: Dinge, die die Menschen in meiner Welt glücklich machen.

Auch wenn meine Entscheidungen sich vor anderen nicht direkt sofort wie gute Dinge anfühlen, ist es doch das große Ziel, andere die guten Gefühle fühlen zu lassen.
Und wie könnte ich das erreichen, ohne erstmal selbst glücklich zu sein?

Ich weiß nicht, wann ich willkommen bin

Dort sind sie und hier bin ich.
Darf ich zu ihnen gehen? Ich weiß es nicht. Was habe ich denn bei ihnen zu suchen?

Ist einfach nur „ich hätte gerade ihre Gesellschaft gern“ genug? Ist es komisch wenn ich mich einfach zur Konversation dazustelle, auf dass sie meine Anwesenheit anerkennen müssen?
Welchen Grund habe ich eigentlich, zu Leuten zu stoßen, in ihre Bubble einzudringen?

Manchmal fühle ich mich wie ein Vampir, welche ja explizit eingeladen werden müssen, bevor es ihnen physikalisch möglich ist ein Haus zu betreten.
Weil dann kein Zweifel an der Berechtigung meines Eindringens besteht.

Nur wenige Situationen gibt es, in denen ich mich selbstsicher zu Leuten geselle:

  • Eine explizite Einladung

  • Ein gefestigtes Verhältnis (enge Freundschaft oder Familie) wo ich mich komisch fühlen würde, NICHT dabei zu sein

  • Ein bestimmtes Ziel oder wenigstens einen guten Grund, den ich offen kommunizieren kann, damit die anderen wissen warum ich gerade da bin

In meinem Wertegefüge ist der Schutz der anderen Privatsphären und deren aktuellem Flow (der fast unmöglich zu erraten ist) immer mehr wert als der Wunsch, mich zu Leuten zu setzen an deren Gesellschaft ich vielleicht Interesse habe.

Ich gestalte meine eigene Bubble gerne selbst und ändere sie auch, aber nach meinen Vorstellungen, indem ich bestimmte Menschen hereinlasse und manche Dinge ausschließe.
Ich schlussfolgere (das ist gefährlich, ich weiß), dass alle anderen Personen ebenfalls diese Einstellung haben, ihre Bubble zu pflegen: Dass sie sorgfältig darauf achten, wer oder was ihr Heiliges betritt.
Also achte ich, ganz natürlich, auf den größtmöglichen Respekt, wenn ich einer anderen Bubble nahe komme. Möchte ja den Frieden nicht stören.

Aber ich gebe auch zu, dass ich nicht immer richtig geurteilt habe und so manches Mal viel zu weit in jemandes Bubble gepoltert bin. So possierlich das klingt, hat mich das gefürchtete Gefühl, jemandes Raum eingenommen zu haben ohne dass er für mich gedacht war, mich immer wieder vorsichtiger und vorsichtiger und zögerlicher werden lassen, auf andere zuzugehen.

Und jetzt Flirten, was ja der exakte Tanz des Eindringens in ein anderes Leben ist, da bin ich gespalten: Bin ich wirklich willkommen in deren Bubble oder ist mein VERSUCH, in die Bubble einzudringen, (das scheint ja eins der Ziele vom Flirt zu sein) willkommen um dann tatsächlich willkommen zu sein oder bin ich höchstwahrscheinlich von Anfang an gar nicht willkommen, was alles in Absenz von Anzeichen einer konkreten Einladung schwer herzuleiten ist.

Auf der anderen Seite bin ich sehr glücklich mit meinen Freundschaften, welche tief gewurzelt sind und wo ich in meinem Verhalten selbstsicher sein kann und mich versichert fühle, in deren Gesellschaft willkommen zu sein, was dankenswerterweise regelmäßig und authentisch zum Ausdruck gebracht wird.
Erwähnenswert dabei: Die meisten meiner Freundschaften beziehen sich auf einzelne Personen, nicht auf Gruppen. Von solchen habe ich gar wenige.

 

 

Auf der Arbeit, wo die sozialen Bubbles ein wenig komplexer sind, mit arbeitsbezogenen Verhältnissen, verteilten Projekten und parallel dazu mehr oder weniger professionellen Bindungen und Verwerfungen, kann das Einfinden ein Mysterium sein.
Seit der Entdeckung meiner großen Energie-Imbalance, welche sich um den totalen Energieabfluss auf Arbeit drehte sodass am Ende des Tages nur mickrige Mengen übrig blieben, hat sich die Situation sehr zum Guten gewandt: Nun haben ich eigenen Raum und eine glasklare Aufgabe und das macht mich auf viele Weisen glücklich.

So sehr ich aber das Innere meiner wohltemperierten Bubble brauche und genieße (mehr davon und zu den sensorischen Sachen an anderer Stelle), so bringt mich das Leben in einer Welt aus Menschen und Verhältnissen dazu, ebendiesen sozialen Dingen eine hohe Priorität zuzuweisen.

Bedeutungsvolle Verbindungen nehme ich nicht als selbstverständlich an und bin mir der meisten Bemühungen bewusst die sie mit sich bringen, jedoch fühle ich mich so manches Mal verloren in der Welt von euch allen anderen und den vielen mir unsichtbaren Kreisen und Bubbles und möchte mich zu oft schuldig fühlen, nicht einfach ein Teil davon sein zu können. Schuld ist ebenfalls ein großartiges Thema zu beleuchten.
Dann ziehe ich mich nur zu gerne in die Bubble zurück, in der ich am willkommensten bin:
In meine eigene.

Ich denke, ich spreche hier auch für viele nicht autistische Menschen:
Solltest du meine Gesellschaft wünschen oder mich einfach mal aus meiner ach-so-gemütlichen Bubble holen wollen, bitte ich dich, lade mich ein.
Gib mir den Grund zu dir zu kommen, sag mir, wann ich willkommen bin.
Weil ich es oft einfach nicht weiß.

Ich kann nicht versprechen, dass ich lange bliebe oder eine großartige menschliche Performance hinlege, aber werde es um so mehr danken, dabei und in eurer Mitte willkommen gewesen zu sein.