Du bist ja schon so ein kleiner Philosoph

Du bist ja schon so ein kleiner Philosoph

Das habe ich in meinem Leben schon öfter gehört. Und es stimmt, dass ich mir ohrenscheinlich viele Gedanken um viele „tiefgründige“ Sachen mache, ohne jemals aktives Interesse an Philosophie an sich gehabt zu haben.

„Bei Oli war schon immer alles nicht so einfach.“ meinte Papa reflektierend. Und ja, auch die Ausbildung zum Anwendungsentwickler war alles andere als ein Spaziergang.
Viel meiner Auffassungsgabe und der Erkennung von Mustern und Regeln konnte ich einsetzen, aber mit der bohrenden Frage „Warum?“ bei jedem weiteren Ding schien ich nicht in die richtige Richtung zu laufen.

Ich wollte schon immer Sachen auf den Grund gehen, wissen wie was funktioniert, welche Regeln wirklich gelten, wo ich mir ganz sicher sein kann. Bücher, Vorbilder und geduldige, vertrauenswürdige Personen und ein konstruktives Weltbild halfen da stets bei der Suche.

Das Warum hinter allem

Wir alle mögen es, wenn wir über Dinge nicht jedes Mal von vorne nachdenken müssen.
Dazu bedienen wir uns vorgefertigter Lösungen und Konzepte. Sprachkonstrukte, ethische Konventionen, aber auch Gesetze und Tradition stützen die Leichtigkeit im Alltag.

Nur während sich Menschen die meiste Zeit auf eben der Ebene bewegen, „die Dinge so zu nehmen wie sie sind“, bin ich da per Standard auf einer anderen Schiene unterwegs:
Die tiefere Bedeutung hat für mich den höheren Stellenwert, erst dann kann ich mir um die für alle ersichtlichen Dinge Gedanken machen.
Während die anderen Feiern gingen, machte ich mir Gedanken, warum man genau feiern gehen sollte und warum alle sich verhalten wie sie sich verhalten und warum ich das auch machen oder überhaupt können sollte. Während andere Filme zum Spaß schauen, beschäftige ich mich mehr mit dem Kunsthandwerk dahinter. Während in der 1. Klasse kurze Sätze vorgelesen werden sollten, wunderte ich mich, wozu das dienen solle. Wo die anderen sich Zeitgenossen suchten, sinnierte ich darüber, wie dieser Vorgang genau funktioniert. Wo manche einfach mal Sport machen, denke ich nur darüber nach, was nun die effektivste und vielfältig nützliche körperliche Betätigung für mich selbst ist. Dasselbe beim Essen, beim Haushalt, bei der Familie.

Fluch oder Segen?

Die Antwort, warum ich etwas tue, entscheidet maßgeblich darüber, wie ich mich dabei fühle und wie mein Leistungswille ist. Mehr noch, der seelische Schmerz und das Unbehagen ist unerträglich, wenn ich nicht ein gutes Warum habe und trotzdem etwas angehe.

Ohne ein Bewusstsein, was hinter einer Sache steckt, kann ich nicht gut leben. Ohne ein schlüssiges Narrativ, und dasselbe kann sich leider allzu schnell wandeln über den Tag, kommt es mir vor, als ginge meine Welt zuende.

Diese Herangehensweise und darüber zu reden (zu „philosophieren“) hat mir zwar schon viel ermöglicht und mich augenscheinlich weit gebracht, jedoch trennt sie mich auch nicht selten merklich von meinen Mitmenschen.

Aber Entwarnung: Ich habe das große große Glück, dass ich für die meisten Bereiche schon eine runde Philosophie oder zumindest eine Erklärung für mich persönlich aufgestellt habe. Besonders in der Königsdisziplin der zwischenmenschlichen Kommunikation. Meine Antworten sind teils sogar so gut, dass meine Lebensweise andere inspirieren und bereichern darf. Dafür bin ich sehr dankbar und das ist der schönste Lohn!

Und mehr noch: Dank meiner Gabe, sprachlichen Ausdruck zu beherrschen, darf ich diese vielen Philosophien, Theorien, Algorithmen und für mich zugänglichen unterliegenden Konzepte teilen und schriftlich manifestieren.

Die Schwere der Philosophie ist also eine, die zwar für den Menschen wohlklingend und erbaulich ist, aber die als ständig verspürte Perspektive nicht spurlos bleibt…

Theaterstück

Theaterstück

Mein Leben fühlt sich an vielen Tagen an wie ein Wirbelwind, den ich bekämpfen muss um fortzubestehen.

Viele Menschen mit Autismus nutzen ihre Masken, das sogenannte Scripting und Methoden ihre Begegnungen und täglichen Aufgaben zu gestalten, um den Wirbel einzudämmen und im allerbesten Falle den Wind für sich arbeiten zu lassen.

Manche von uns, ich zum Beispiel, haben immer schon eine gewisse Sehnsucht verspürt. Beim Schauen von Serien oder Filmen, beim Musikhören oder beim Miterleben einer Bühnenperformance.
Ich fühle dann eine Lust, alle diese Gefühle auch fühlen zu können, mich einfach von der Emotion überkommen zu lassen und heulen, jauchzen, flennen oder lachen zu können, mit dem klaren Grund den die Szene liefert.

Nur gibt der Alltag selten, wenn überhaupt, eine solche klare Gelegenheit. Es gibt diesen Rahmen aus reinem grünem Licht einfach nicht, in dem wir nach Herzenslust fühlen könnten.
Da sind viele Zielsetzungen, Regeln, Gebahren in dem jeweiligen Raum, andere dazwischenfunkende Gefühle, Verhältnisse zu den Menschen rund um uns herum und wenn wir diese Elemente nicht identifizieren können: Ein Wirbelwind aus Verwirrung.

Eine Sache, von der ich denke, dass sie sehr oft im Bezug auf Autisten falsch verstanden wird: Wir fühlen so so so viel. Wir fühlen so stark, so allumfassend, so bar und heftig, dass unser Lebensinhalt ein einziges Bändigen dieses unaufhörlichen Gefühls-Tsunamis zu sein scheint.
Wir legen schon von Kindesbeinen unsere Rüstung mit ihren vielen Lagen an, um uns einzufinden und uns und andere vor den Konsequenzen der wahnsinnig intensiven Gefühlsregungen in uns zu schützen.

In den Zeiten, wo ich noch meine hochentwickelte Rüstung in voller Montur trug, bin ich ans Amateurtheater gekommen.
Ich bin Teil von so manchem Stück gewesen, mit einem wunderbaren Regisseur, einem immer lieben Ensemble und einem wieder und wieder begeisterten Publikum.

Es macht Spaß und ist ein schönes Hobby dem man nachgehen kann, eine Herausforderung und ein schönes Ventil, die eigenen Gaben zu erforschen.

Aber zu wenig war mir klar, dass ein Theaterstück nicht ohne Gründe eine Komfortzone für mein Inneres ist:

  • Es gibt ein Skript

  • Jemand sagt mir genau, wie ich mich verhalten soll

  • Es ist mit keinen großen Überraschungen zu rechnen

  • Jede Szene wird mehrfach geprobt

  • Ich kann aus meiner Rüstung schlüpfen und jemandes anderen Maske anlegen

  • Es gibt einen sicheren Rahmen, jegliche gegebenen Dinge in einer geschlossenen Umgebung zu fühlen

  • Alles was einen umgibt steht fest und hat einen bestimmten Sinn

  • Für eine kurze Zeit kann es so sein, wie man es gerne hätte um die eigene Geschichte täglich voranzubringen

Ändern oder verändern

Ändern oder verändern

Von allen gegensätzlichen Verhaltensweisen, die ich mich an den Tag legen sehe, fasziniert mich mein Verhältnis gegenüber Änderungen wohl doch am durchgehendsten.

Wenn Autismus einen Geisteszustand beschreibt, der klinisch bewiesen anders als die Welt um ihn herum ist, wird jede Einflussnahme auf ihn ein sehr bedeutsamer und zutiefst sensibler Akt sein.

Unterbrochene Routinen, plötzliche Abänderungen des durchgeplanten Tages, zusätzliche Faktoren, ein Unfall oder ein unvorhergesehener Verlust des Energielevels können eine Reihe unglücklicher Folgen haben, die nur all zu selten elegant verarbeitet werden.

Auf der anderen Seite bin ich nicht ohne Grund dafür bekannt, anders zu sein: Denn ich mache viele Dinge anders und mag es, neue Lösungen zu entwicklen und fordere fröhlich die Regeln und Grenzen heraus, die ich kennenlerne.

Ich habe zwei Arten von Änderungen bemerkt, die so weit voneinander entfernt sind, wie sie sich auf meiner Sympathieskala zeigen:

  • Ich fürchte, lehne ab, habe Angst vor und umgehe: Änderungen

  • Ich liebe, genieße, blühe und manchmal bürde ich anderen mehr oder weniger spielerisch auf: Veränderungen

Was unterscheidet sie nun so kritisch?

Es ist die Quelle der Änderung und die Art, wie sie in meine Welt gelangt.

Es gibt immer Regeln und Grenzen und Ziele und Begründungen. Also muss alles was ich tue auch einen Grund haben, auf natürliche Weise.
Dieser Grund für alles ist etwas, gegenüber dem ich schon seit jeher extrem sensibel bin. Wenn ich nicht einen Grund für etwas sehe, reagiere ich oft sehr unangemessen. Glücklicherweise haben meine Eltern eine Welt für mich geformt, die greifbare Gründe und eine Erklärung für so gut wie alles liefert.

Wenn nun mein Tag oder eine bestimmte Zeitspanne vorbereitet ist, heißt das, dass meine Gründe und alle dazugehörigen Faktoren ausgerichtet und ausbalanciert sind, um meine Funktion zu gewährleisten.

Und dann kommt eine Änderung: Diese kommt von außen und wenn ich noch keine vorgefertigte Lösung für diese Änderung habe (den Aufprall komplett herausfiltern, dieses exakte Szenario bereits bedacht haben, für Unvorhergesehenes vorgesorgt haben), werde ich von Anfang an neu ausrichten müssen.

Ich werde die Natur und die Größe der Änderung gegen meinen ganzen Satz von Gründen, aktuellen Auffasungen, großen und kleinen Zielen, meinem Verhältnis zu jedem involvierten Faktor (lebend oder nicht) abwägen und ich werde so schnell ich kann alle diese Dinge ausbalancieren, um wieder funktionieren zu können.
Und wohl mir, wenn ich einen guten Grund dafür habe, WARUM ich überhaupt wieder funktional sein möchte..!

Beispiele dafür: Eine spontane Änderung der Sitzplätze im Büro, mehr Personen als erwartet kommen zu Besuch, die Bahn wirft den Reiseplan über den Haufen, es gibt eine der vorher ausgewählten Speisen im Restaurant nicht, es werden Getränke zur Auswahl angeboten, wo man es nicht erwartet hätte.

Aber nun zur schöneren Seite: Wenn ich einen guten Grund sehe, etwas anders zu tun, natürlich im Einklang mit allen meinen aktuellen Auffassungen, bekannten Regeln und Ideen die sich in meinem Kopf finden, liebe ich es einfach, das dann zu verändern und das Leben ein wenig leichter, lustiger oder bedeutungsvoller zu machen.

So sehr ich auch innerhalb von Rahmen denke und lieber nach festen Dingen suche, so gut kann ich auch erkennen, was da außerhalb der Grenzen liegt und welche Regel womöglich gar keinen Rückhalt hat.

Eine Sache, die mich dabei stets zurückhalten möchte, sind meine Routinen. Dieselben spielen eine RIESENGROẞE Rolle darin, mich überhaupt erst funktional zu machen.
Eine Routine zu verändern, so geringfügig und so positiv es sein mag, braucht einen gewissen Puffer im Energielevel, nebst aller Begründung.

Ein guter Grund kann auch jemand sein, dem wir vertrauen. Solange wir uns sicher sind, dass diese Person selbst gute Gründe birgt. Aber das wird schwerer, wenn man erwachsen wird. Wer wird uns dann vorsagen, was auf dieser unkontrollierbar rotierenden Welt wir tun sollen?
Du wirst es dir selbst sagen. Nur ist die Gewaltenteilung innerhalb von uns Menschen eher schwach, was sich dann in den exekutiven Funktionen zeigt…

Ich würde mich selbst gerne klonen, in ein Wesen dass mir alle richtigen Dinge vorsagt und ich könnte dann einfach ein glückliches Leben führen. Aber das muss alles in einem selbst gemacht werden. Vielleicht weiß auch gar keiner, wie das wirklich funktioniert.
Das ist wie dieser psychologische Trick, bei dem einem weiß gemacht wird, es wäre die eigene Entscheidung, damit man sich damit gut fühlt. Das müsste es sein, was die ganze Zeit in unseren Köpfen vor sich geht.

Ohne die großen Mengen an Energie, die ich durch die neue Art zu arbeiten spare, und den vielen gelösten Fragen im letzten Jahr, hätte ich niemals meine Wohnsituation so verändern können mit allen quirligen kleinen Veränderungen dadrin. Und dennoch fürchte ich mich vor jeder Änderung, die mir entgegenkommt, die ich nicht kontrollieren kann.

Ich mag mutig erscheinen, aber es ist einfach nur die ausreichende Menge an Dingen von denen ich weiß und die überschüssige Energie, die mich Großes schaffen lassen. Wenn die beiden Dinge nicht da sind, halte ich mich lieber an mein altes Leben, wo ich Aussicht auf Änderung bewusst gering hielt.

Die Weiterreise: Ein Traum wird wahr

Neues Heim

Einfach nur machen was man will, ohne die bekannten Einschränkungen, Regeln, Grenzen und Routinen.
Das geht meistens nur im Traum. Aber in Träumen ist man zu selten auf die unerwartete Freiheit und alle Möglichkeiten vorbereitet.

Meine eigene Wohnung ist wie ein Traum.

Ich habe einen großen Rahmen meines Lebens verlassen und bin in diesen neuen getreten, der weitaus anpassbarer ist. Ich kann über so gut wie alles innerhalb meiner Wände entscheiden, kann meine eigene Welt so bauen wie ich es mir sonst nur erträumen konnte.
Dieser Traum geht dabei nicht wirklich zuende. Manchmal fühlt er sich echter an, manchmal weniger. An manchen Stellen spüre ich meine Kontrolle, mancher Punkt belehrt mich dann wieder, welchen Elementen dennoch zu gehorchen ist.

Träume zeigen einem viele alltägliche Dinge die man so nicht in Verbindung bringen würde, was es wiederum zu einer schönen Übung macht, sein eigenes Gehirn in verschiedenen Szenarien zu beobachten.

Ich habe gerade begonnen, mich in diesem Traum zurechtzufinden, ihn zu mögen, mich in ihm zu Hause zu fühlen. Und das wird für noch so einige Zeit meine Reise sein, glaube ich.

Sei nur willkommen mich in diesem Traum zu besuchen, ihn mit mir zu teilen, ihn ein Stückchen echter zu machen!

 

Vereinigte Staaten von Amerika

Nicht viele Serien haben mich auf so träumerische Weise begeistert wie Twin Peaks.

Als ich mich in British Columbia wiederfand, entdeckte ich, dass deren Drehorte überhaupt nicht weit weg lagen. Tatsächlich so gar so nah, dass ich mich für einen meiner merkenswürdigsten Roadtrips entschied.

Der immer noch fabelhafte Leihwagen trug mich über die Grenze in das Snoqualmie Valley, wo große Teile der Show gedreht wurden. In meiner Zeit dort machte ich auch noch eine Fahrt um den Olympic National Park, dessen Gipfel ich bereits von Kanada aus erspäht hatte.

Ich besuchte einige Sehenswürdigkeiten rund um die Serie, hatte einen „Damn Fine Cup of Coffee“ in einem richtigen amerikanischen Diner mit Kaffeenachfüllen, habe Wapitis gesehen (endlich) und gleich als Herde, erlebte unerwartet große Gastfreundschaft meiner Airbnb-Gastgeberin, ein traumhaft herzliches Entgegenkommen von der Peaker-freundlichen Rallye-Schule DirtFish und ging ganz im Kennenlernen der hiesigen Sasquatches im Happy Place North Bend auf.

Wo das „Great Northern“ gefilmt wurde, hatte ich großes Glück und konnte mir an dem offenen Ort allerhand ansehen und mich an der friedlichen und magischen Umgebung laben. Ich sah den ikonischen Baumstamm und fuhr dann weiter bis hin zur Hall of Mosses, was sich exakt so spektakulär anhört wie es gar potenziell lebensverändernd ist und mich zutiefst beeindruckt zurückließ.

Eine Reise wie direkt aus einem Traum war das. Ein Traum aus dem ich für einen letzten Abend mit den Lieben in Kanada erwachte und dann als bereicherter Mann heimkehren durfte.