Vorsichtigkeit

Vorsichtigkeit

Aktion und Reaktion. Die erste grundlegende Lektion für den Menschen. Von dort aus wird es nur delikater und mehr komplizierterer. Aber tief verwurzelt sind zwei Gefühle, die aus unseren Handlungen entspringen: Fühlt sich gut an und fühlt sich schlecht an.

So wie die Anekdote vom Patienten beim Arzt, der sich beschwerte, es würde wehtun, wenn es das täte, und der Arzt ihm einfach sagte, er möge das einfach nicht mehr tun, lernen wir und den Handlungen zuzuwenden, die die sich gut anfühlende Reaktion hervorrufen.

Und da kommt auch schon die Voraussicht. Denn wer würde nicht gerne böse Folgen seiner Handlungen verhindern wollen?

Also machen wir es uns zu Gewohnheit, die Flüssigkeit in der Tasse nicht sofort anzufassen, andere Personen nicht zu hauen, nicht mit Scheren zu rennen, nicht körperliche Eigenschaften Fremder anzusprechen, nicht von jeder Höhe herunterzuspringen, einen Durchgang auf Glasscheiben zu prüfen, Daten zu sichern, Dinge zu durchdenken, bevor wir sie anfangen, einen Platz auf der Küche vorzubereiten, bevor das Blech aus dem Ofen kommt, eine Jacke zu tragen, wenn es kalt wird, unser Gebaren vorsichtig zu wählen, so wie es in den etablierten gesellschaftlichen Regelwerken wünschenswert ist, Dinge zu vermeiden, die uns einmal ein schlechtes Gefühl gaben.

Was ist das da, mit dem düsteren Zeug zum Schluss?
Als Hyperfühler ist mein Gehirn in regelmäßiger Überfunktion und gute und schlechte Gefühle werden sehr viel intensiver wahrgenommen; sodass ich weit empfänglicher für alle Ebenen von Aktionen und deren Reaktionen werde.

Aber mit meinem Fimmel für Spiele und Rätsel habe ich schon in jungem Alter damit angefangen, mit Logik und Ausschlussverfahren meine körperlichen Mechanismen zur Freude meiner Umgebung einzusetzen. Und das klappt auch gut, sobald man es dann raus hat!

Aber wie jedes Spiel in Ultra-Hardcore-Albtraum-Qual-Overkill-Schwierigkeitsstufe, zeigt das Leben dir erst ein Tutorial, bevor es dich in die Spirale ansteigender Herausforderungen schickt.
Oh, wie oft habe ich mir einen Wanderführer gewünscht, den ich nach Schlimmem gefragt hätte, bevor das Schlimme erst passieren musste!
Rückblickend kann ich aber Geschichten von großem Glück und günstigen Umständen erzählen, ohne die ich niemals in dem Raum sitzen würde, an dem ich heute bin.

Jahrelang habe ich es so durchs Leben geschafft; mit der guten Gewohnheit, jede Ecke zu prüfen, aus der jemals schlechte Gefühle kamen, weniger zu wagen, meiner Umwelt weniger zu vertrauen als meine Mitmenschen es tun, lieber mein Gehirn zu beanspruchen als auf mein Bauchgefühl zu hören, mich langsamer fortzubewegen und mich umso mehr über jeden Erfolg zu freuen, den ich mit der Strategie erreichen konnte.

Als Kind, als Schüler, als Auszubildender, als junger Reisender wurde mir schneller vergeben, wenn ich über die Stränge schlug und ich bekam nachsichtiges Feedback nach dem Zwischenfall.
Ganz anders aber, wird sicherlich jeder Erwachsene so erleben, ist die Situation im Erwachsenenleben und im professionellen Umfeld. Da gibt es Standards und Anforderungen und Gepflogenheiten zu beachten. Das nicht-angepasst-Sein zu meistern und neue Wege zu finden, seinem gar wunderlichen Gehirn zuzuspielen, können letztendlich ebenfalls zu schlechten Gefühlen führen. Gefühle des Nichtverstehens des Nichtverstandenwerdens. Gefühle der Entscheidung zwischen einer Maske oder ehrlichem Aufführen. Gefühle der erhöhten Vorsichtigkeit, die man schon sein ganzes Leben lang gekannt hat.

Es ist mühevoll, sich vorsichtig weiterzuentwickeln.

Unverstanden

Unverstanden

Mein gesamtes Leben über habe ich gelernt, verstanden zu werden. Mich in die Form eines Wesens zu gießen, das Richtigkeit verkörpert; mit Werten und Weisen, die meine Mitmenschen glücklich und sogar in meiner Anwesenheit sicher fühlen lassen.

Ich habe gelernt, dass manche Dinge nicht sofort verstanden werden und dass manche wohlgemeinte Handlung oder Aussage entweder umfassende Erklärung brauchte, oder gar nicht erst geäußert werden musste.

Ich habe gelernt, dass wenn ich mich selbst besser verstehe und reflektieren lerne, ich mich auch besser erklären und meine Handlungen anderen zugänglicher gestalten kann.

Ich habe gelernt, dass mein Verhalten Namen hat.
Schritte eines Prozesses einzusparen, um das geforderte Ziel zu erreichen war dann faul, meine Gedankengänge zu erklären war dann ausschweifend, Tabuthemen anzusprechen, wo ich nicht um eine Regel dagegen wusste, war dann ungehobelt, meine Fähigkeit, versteckte Punkte in der Sprache oder in Situationen zu verbinden, war dann albern, 110% zu geben war dann richtig so, sich auf der Arbeit krankzumelden war dann unbequem, Details anzusprechen, die mir auffallen war dann erstaunlich, eine originelle Weltansicht zu teilen war dann auf Drogen, Informationen zu ordnen und dies mit anderen zu teilen war dann ein sagenhaftes Geschenk, Zeit alleine in meinem Zimmer zu verbringen war dann Rückzug.

Während nun keiner danach fragte, warum ich diese Dinge tat, habe ich mir immer gedacht, genau das erklären zu können, was in Ausschweifen und Erstaunen mündete.
Auch konnte ich die gegensätzliche Weise meiner Handlungsweisen mir selbst gegenüber weder erklären noch aufhören, mich darum zu sorgen.

Und wer sollte mir denn die Gründe sagen, warum ich all das so tat, einschließlich mir selbst?
Ich schien faul zu sein, auszuschweifen, ungehobelt, albern, immer aber Dinge richtig machend, während ich bestaunenswert und trotzdem unbequem, wie auf Drogen scheinend, sagenhafte Werke vollbringend, aber ein Stubenhocker.

Unverstanden auch von mir selbst, habe ich mich dann auf die Suche gemacht, was die eigentlichen Gründe für all das wären.
Aber diesmal meine eigenen Gründe, näher am Menschen hinter der Maske als alle Namen, die ich vom Außen bisher erlernt hatte.

Nur durch die resultierende Diagnose konnte ich einen anderen Blickwinkel auf mich selbst einnehmen, als den die bisherigen Wände mir stets und unaufhörlich gespiegelt hatten. Ein Zugang zu einer Welt, die Sinn zu ergeben begann. Eine Entdeckung von dem, was schon immer da war, unter der schweren Maske zu etwas verzerrt, das oh-so-wunderbar und oh-so-zerstörerisch war.

Ich beginne nun zu verstehen, warum ich an mancher Stelle auf gewisse Weise angesehen wurde.

Ein scharfer Punkt: Nicht jeder Ort gab mir sogleich die unglücklichen Namen. Manche Orte haben diese Namen auch verändert, nachdem sie die Gründe erfuhren, manche Orte tun dies noch überhaupt gar nicht.
Sollte ich weiter diese Orte davon überzeugen, dass es eine gute, produktive, nützliche Sicht auf das gibt, was ich verkörpere, oder sollte ich das ganz sein lassen?

Jemanden zu verstehen setzt das Verständnis für ihre Gründe voraus und Vertrauen in die Richtigkeit ihrer Werte. Wenn das gegeben ist, wird jede Interaction gesund und natürlich folgen.

Der Pinguin liebt sein Wasser und ein Esel mag nicht Pferd genannt werden, auch wenn er auf den ersten Blick wie eines erscheint.

Schaden über Zeit

Schaden über Zeit

Schaden über Zeit ist eine Sache im Leben, die wir alle kennen, aber die als solche eher über Computerspiele Bekanntheit erlangt hat.

In Computerspielen werden viele der Mechanismen des echten Lebens umgesetzt, um dem menschlichen Spieler ein allumfassendes Erlebnis zu bieten. So kann man nicht nur Feinde schneller und effektiver bezwingen, sondern auch jeden Lebensbalken intuitiv und instinktiv noch lange nach dem eigentlichen Schlag beeinflussen. Sei es der gute alte Giftschaden oder ein lange anhaltender Zauberspruch, man kann damit mehr als nur eine Sache auf einmal austeilen!

Wenn man von Effekten über Zeit spricht, ob positiv oder negativ, kommen viele alltägliche Dinge in den Sinn:
Unkrautbekämpfung, Geschirr einweichen, rhetorische Pausen, Einmarinieren, Wäsche trocknen, Medizin einnehmen und allerhand mehr.
Also hauptsächlich Sachen, die uns in allen Lebensmissionen behilflich sind, gleichauf mit Aktionen, die einen sofortigen Effekt haben; von denselben es auch welche gibt, die uns stören und die aufgelöst werden müssen, damit der betroffene Mensch sich nicht sorgen muss:
Ein harter Tag auf Arbeit fordert seinen Tribut und das Auto wäscht sich nicht von alleine, Zuhören verbraucht manchmal extra Energie und das Laubharken lässt einen mit weniger Energie zurück als zuvor.

Wenn der Spieler Schaden erleidet, ist Heilung die Antwort. Einfache Rechnung.
Was aber, wenn der Schaden fortbesteht? Heilt man sich dann sofort, nachdem der Schaden komplett ist, oder hat man womöglich die Option, sich über Zeit zu heilen? Wird es den Schaden aufheben? Wie viele Heilungseinheiten hat man übrig? Wird gleich der nächste Schaden aufkommen?

Normalerweise wachsen wir ja mit unseren Aufgaben. Wir schließen Missionen mittels unserer Stärken ab, nutzen die gleichen, um unsere Heilungsmechanismen weiterzuentwickeln, und haben so letztendlich Erfolg.
Im Mittelpunkt steht dabei, die eigenen Schwachstellen und die Herangehensweise ans Heilen sehr gut zu kennen.
Manche Spieler setzen voll auf Heilungstechnik, manche erheben das Ausweichen vor Schaden zur Kunstform, manchen macht Schaden gar nichts aus, manche wollen von Anfang an lieber keine Herausforderung, manche haben keine Wahl.

Und manche, manche sind viel anfälliger für Schaden über Zeit, dem gefürchteten Lebensbalkenauslöscher, der eine Effekt, der die Quelle des Schadens fast unidentifizierbar macht. Auch wenn ein bestimmter Schlag bei anderen gar nicht zu Schaden über Zeit wird, hält er für diese Spieler zigmal so lange an.
Diejenigen haben gelernt, mit der überwältigenden Flut an Einflüssen auf ihren Lebensbalken zu leben, ohne jemals den einen Schaden vom anderen unterscheiden zu können, sich durchgängig abzumühen alle ihnen nur möglichen Faktoren umzuordnen, daran zu scheitern, anderer täglichen Heilungsprozesse zu verstehen, zu versuchen sich mit den zur Verfügung stehenden Umgangsformen anzupassen, nie auf einen grünen Zweig zu kommen und zu denken, dass das alles normal wäre.

Es ist niemals einfach nur Schaden, einfach nur ein Stück Energie, einfach nur ein blöder Löffel.
Nicht, bevor du mehr Schritte zurück machst denn je zuvor, um dann die richtigen Entwicklungspunkte in die richtigen Säulen zu stecken und einmal die richtige Art von Erfolg zu erleben, egal ob klein oder groß.

Als ein neurodivergentes Individuum hat mein Leben unterschiedliche Episoden aus Schaden und Heilung gehabt.
Neulich bin ich erwachsen geworden. Hauptsächlich durch meinen Auszug und durch das intensive Lernen über meine Fähigkeiten und meine Schwächen, und durch das aktive Einstehen für mich und für meine Bedürfnisse.
Dieser Teil meiner Weiterentwicklung ist wahrscheinlich der schwerste, durch den ich je gegangen bin, aber ich habe immer noch Hoffnung. Ich glaube, dass eine Zukunft aus stetiger Heilung, vielleicht sogar einem vollen Lebensbalken und mit weniger Schaden über Zeit auf mich wartet.
Und da komme ich hin, während Sir Oliver Evolves.

Dänemark zu Zeiten…

Wenn man öfters in Dänemark war, stößt man auf so einige Unterschiede zwischen den Jahren. Nicht so sehr vom Haus, in dem man urlaubt, auch nicht so sehr von den Menschen, mit denen man reist, nicht so sehr von den günstigen Blu-Rays, die man findet, auch nicht so sehr vom Wetter, vom Essen, von den Süßigkeiten und Spiel und Spaß.

Den größten Unterschied macht die eigene Lage, aus der heraus man sich auf diese altbekannte Reise begibt.
Ich hatte manche haarigere, manche heitere, manche stressigere, manche ultimativ entspannende Zeit in Dänemark.
Aber noch nie eine wie diese, nachdem ich eine so lange Pause von der Arbeit hatte und in den letzten Zeiten doch so viel über mich selbst lernen durfte. Es fühlt sich an, als wäre mein Leben an einem Wendepunkt, und ich habe weniger Angst, eher Freude darauf, was die Zukunft für mich und für meine Lieben bereithält…

 

Warum konnte Oli damals alles und jetzt nicht mehr?

Warum konnte Oli damals alles und jetzt nicht mehr?

Weil ich damals meine Bedürfnisse hintenan und allem anderen unterstellt habe.
Und das noch nicht einmal böswillig, sondern mit bestem Wissen über mich selbst und Gewissen!
Das hat 2 Folgen gehabt: Ich habe über meine Komfortzone hinaus leben können und habe doch immer nach Rahmen gesucht, die stabil genug waren, um in ihnen zu leben.

 

Auch ein stetig sinkender Graph bietet die mir so wichtige Sicherheit und Stabilität im Leben.

2 Grundlagen hatte das: Einmal habe ich in meinem Elternhaus die wahrscheinlich komfortabelste, wenn auch nicht für mein Alter angemessenste, Umgebung gehabt und auf der anderen Seite habe ich meine Masken immer weiter so gestaltet, dass ich möglichst so sein könnte wie alle anderen.

Die Schmerzen, Unsicherheiten, Energielosigkeit und die große angehäufte Energie-Schuld habe ich einfach mit nach Hause genommen. Ich habe Ängste und Not erlebt und mir noch nicht einmal erlaubt, diese als solche anzuerkennen, weil es nicht in die ausgefeilte Maske des Olis passte, den ich immer weiter optimiert und zugeschnitten habe.
Ich hatte schon immer den Verdacht, irgendwo anders zu sein als alle anderen, aber ohne eine klinische Diagnose konnte ich mir nichts anmaßen und konzentrierte mich aufs Glücklichsein. Aber diese schweren Gedanken hatten nur dann Platz, wenn ich die Maske im Schutz meiner Komfortzone fallen ließ, denn eine solche Maske ist immens schwer.

 

Wie eine Ritterrüstung, mit der man zwar jeden Ansturm überlebt, aber die nur bedingt für lange Märsche geeignet ist.

Und wo die Zweifel immer unausweichlicher wurden, machte ich mich auf, der Sache auf den Grund zu gehen.
Diagnose Autismus.

Ich habe nun keine Ausrede mehr, meine Bedürfnisse zu ignorieren und meinen Lebensstil der Maske zu opfern.

 

Ich möchte ich sein, ob auf Arbeit oder im Stillen daheim.

Und selbst dieses Ich ist so sehr mit der Maske verschmolzen, dass ich große Schwierigkeiten habe, das einfach zu trennen.

Das letzte Jahr war geprägt von 2 großen Projekten:
Erst die Wiederaufnahme der Arbeit, mit eigenem Raum, mit neuen Aufgaben, mit mehr Selbstachtung.
Dann kam mit frischer Energie der Auszug aus dem Elternhaus, mit neuen Herausforderungen und einer neuen Art täglich zu leben, mit Verantwortung in vielen neuen Bereichen mir selbst und anderen gegenüber.

 

Ich bin erwachsen geworden.

Dank der Rückzugsmöglichkeit aus dem Großraumbüro und dem frühen Feierabend konnte ich der neuen Masse an Verantwortlichkeiten standhalten und leben.
Nicht wenig geholfen hat dabei die Sicherheit von außen, dass ich in dieser Arbeitsweise willkommen und okay bin.
Sobald ich daran zu zweifeln habe oder gar diese Bedürfnisse aus jeglichen Gründen missachte, tötet das meine Freude und die Folgen davon saugen alle Energie.

 

Mein Leben dreht sich hauptsächlich um die Balance: Jede Änderung setzt mir zu, jede Stetigkeit entspannt mich.

Und wenn nach dem Ausbalancieren keine Energie übrig bleibt, kann es vorkommen, dass ich sogar vergesse, warum genau es mir gut geht oder welche unerwartete Änderung mir den Garaus machen würde. Denn da befinde ich mich auf einer Abwärtsspirale, ohne es zu merken, ohne mich an gesunden Gewohnheiten festhalten zu können, ohne mir Hilfe zu holen.

Ich bin darauf programmiert, das Gute zu sehen. Das allein lässt das Schlechte aber nicht verschwinden und ich sehe es erst viel zu spät, wenn ich es nicht akzeptiere und damit gesund umgehen lerne.

 

Ein Pinguin an Land hat ganz andere Fähigkeiten als dasselbe Tier im Wasser.