Ode an die Brettspiele
Ode an die Brettspiele
In letzter Zeit ist mir der Mund des öfteren von einer Freizeitbeschäftigung übergegangen, die zwar nicht neu, aber in den vergangenen Monaten zu meinem lieben Begleiter geworden ist.
Und das sind Brettspiele.
Nach und nach haben sich die Wunden der beizeiten gar grausig faden Erfahrungen mit mittelmäßigen Spielen in spannende Abenteuer und erzählenswerte Geschichten verwandelt, die man nur zu gerne weiterempfiehlt.
Wir haben Zoos gebaut, mystische Gewässer besegelt, atemberaubende Schlachten ausgefochten, Zivilisationen gerettet, sind ins Weltall gereist, haben verlotterte Verliese erkundet, Kryptide gejagt und sooo vieles mehr!
Die allgemeine Faszination für vorgefertigte Welten habe ich bereits an anderer Stelle näher erläutert. Doch bei Brettspielen ist der Stretch zwischen der erzählten Geschichte und ihrer abstrahierten Umsetzung deutlich virtuoser.
Durch Mechanismen und Illustration, Haptik und Regelwerk, Szenario und Erwartungen entsteht ein wundergefüllter Anlass, mit Freunden und Familie zusammenzukommen.
Ein Spiel zu erlernen, in ein Spiel einzutauchen, es zu meistern oder all diese Freuden mit anderen zu teilen ist doch der Traum derjenigen, die Spiele erdenken und gestalten.
Sicherlich hatte schon jeder irgendwie Berührung mit Brettspielen, und die unterschiedlichen Vorlieben sind weit gefächert.
Zusammenzukommen und Dinge miteinander zu erleben ist an sich schon ein schönes Spiel, jedoch so sehr ein autistischer Mensch alle Spielmechaniken auch lieben mag, sollte er nicht trotzdem gewisse Vorbehalte gegenüber dem „Andere-Leute“-Faktor haben?
Ein gutes Beispiel, das ich oft heranziehe, ist jener Von-11-bis-11-Spieletag, den ein Freund vor einiger Zeit organisiert hat. Das war zu der Zeit, als ich besonders wenig Energie hatte. Dennoch war der Rahmen flexibel genug, um meinen Akku mal zu testen und jederzeit aufbrechen zu können.
Bin ich vor 11 Uhr abends gegangen? Nein. Waren viele Menschen da? Ja. Kannte ich die meisten? Nein. Habe ich trotzdem mit ihnen gespielt? Ja. Bin ich auch nur ansatzweise erschöpft gewesen? Nein. War ich am Ende überrascht? Ein wenig.
Es zeigt sich: Brettspiele sind abgesehen von ihrem offensichtlichen Vergnügen ein hervorragendes Beispiel für sinnvolle Anpassungsmaßnahmen an mein Gehirn:
- Es gibt ein Regelbuch und das erklärt alles, was man über das Spiel auf dem Tisch wissen muss.
- Alle Inhalte der Schachtel sind sauber aufgelistet.
- Jede erwünschtenswerte Handlung und alle Siegbedingungen sind klar definiert.
- Wenn das Spiel nicht explizit davon abweicht, ist es stets für alle gleichermaßen gerecht.
- Alle Mitspieler nutzen die selbe Sprache für wichtige Elemente des Spiels.
- Spiele haben klare Endbedingungen.
- Die Wahrscheinlichkeit, Ordnung anstelle von Chaos zu finden, ist hoch.
- Innerhalb der Regeln ist alles möglich.
Natürlich hängt der letztendliche Spaß mancher Spieleabende von äußeren Umständen ab, dann von den vorgefassten Erwartungen, dann kommt lange nichts, und dann von dem Fakt, dass ein Brettspiel gespielt wird.
Also, komm mit in die GefahrenKomfortzone, und lass uns spielen!
Crash
Crash
Der Junge im Video korrigiert die Mutter strahlend: „Ich leide nicht unter Autismus, ich hab das einfach nur.“
Ja, ich habe das auch einfach nur. Und was auch immer wir Menschen haben oder nicht haben, wir tun alles dafür, nicht leiden zu müssen. Obwohl das Level an Leid und dessen Akzeptanz oft allzu variabel gehalten wird.
Was nur, wenn ein Leiden plötzlich und unverhofft daherkommt? Plötzlich alles unerträglich ist und plötzlich unsere Welt zerfällt?
Was, wenn wir das Trauma eines Zusammenbruchs sehr fürchten und die Kunst zu Leben darin besteht, diese möglichst zu verhindern?
Mittlerweile habe ich, besonders in den letzten Jahren, viel darüber gelernt, was meine Ängste, mein unterbewusstes Lebensdesign und meine neurodivergente Art betrifft. Eigentlich ein ganz eigenes Thema, wie sich ein (für mich) stressarmes Leben von dem abhebt, was normativ klingt…
Und dennoch hatte ich nach langer Zeit wieder einen Zusammenbruch. In der Öffentlichkeit, an einem besonderen Ort.
Und den möchte ich an dieser Stelle teilen.
Unter Neurodivergenten hat man sich auf 3 Stufen geeinigt, nämlich die Überflutung, die Kernschmelze und den letztlichen Zusammenbruch.
Überflutung
(englisch Overload)
Das Lebensgefühl von autistischen Menschen, wenn man in Selbsthilfegruppen zuhört, zwischen den Zeilen lesen oder gar Memes vertrauen kann. Im Sinne der 3 Stufen meint Überflutung jedoch ein außergewöhnlich kritisches Level an Überreizung, Über(be)lastung, Überbeanspruchung, Überforderung und Überspannung, das sich im besten Falle schmerzlich bemerkbar macht.
Im ungünstigen Fall aber erst zu spät, weil wir Menschen die Fähigkeit des Aus- und Durchhaltens nur zu gern einsetzen.
Meine konkrete Überflutung setzte sich aus mehreren Elementen zusammen: Veränderungen im Leben (neues Handy mit Lieferungshürden, Ende meines Arbeitsvertrages bei der langjährigen Firma, Planung eines neuen Portemonnaiekonzepts, Gedanken zu neuen Beschäftigungshorizonten, Neudenken von Routinen), Mittragen von Sorgen, ein Städtetrip mit Bahnfahrten, etwas Weltschmerz, etwas Herzschmerz, Sonne, Menschen, Mittelaltermarkt, alte Eindrücke, neue Eindrücke, menschliche Bedürfnisse.
Jede Sache hat ja ihr Gutes und ich habe stets gute Argumente für das Gewissen. Und je weniger man aktiv an jeden einzelnen Punkt denkt, desto einfacher wird das Leben, aber genau das ist eben unendlich schwer. Und wenn man obendrein keinen guten Eimer hat, das Wasser aus dem Kahn zu schippen, dann steht es einem schneller als gewollt bis zum Halse und die Luft wird eng…
Crash
(englisch Meltdown)
Hier ist der Druck zu groß für die Hirnrinde und irgendetwas muss passieren! Wie das aussehen kann, ob allzu deutlich oder vollständig unterdrückt, ist ganz von dem individuellen Betroffenen abhängig. Folgen hat es aber immer, ob nun sichtbar oder nicht.
Ich bin sehr gut im Unterdrücken. Mit Ausbrüchen habe ich schlechte Erfahrungen gemacht und wurde als Kind in engen Bahnen erzogen. Das hat mir wahrscheinlich viel Reiberei erspart und mich geduldig und nachsichtig erscheinen lassen, aber irgendwo müssen die angestauten Gefühle hinplatzen.
Es war beim Höhepunkt des Tages, dem großen Showturnier, als mein Eimer nicht mehr für die Flut an Eindrücken ausreichte. Menschen zu nah neben mir, Jubeln und Klatschen, schäumende Pferde, Schauspiel, kein freier Platz in Sicht, immer auf der Hut vor achtlosen Berührungen, bloß nicht das große Spektakel verpassen, weswegen wir hier sind.
Alle Bedürfnisse laut loszuschreien, Leute in die Schranken zu weisen, ummichzuschlagen und wegzulaufen konnte ich meisterhaft unterdrücken, bin ja ein ordentlicher Mensch, so habe ich es erlernt.
Und trotz rigorosem Einsatz von Stimming-Tools (ein Fidgetgadget und ein Akupressurring) platzte dann die andere Seite, die in mir drin.
Zusammenbruch
(englisch Shutdown)
Die unmittelbare Konsequenz.
Einen Zusammenbruch habe ich häufig mit einer Pflanze verglichen, die ihre Blüten schließt und verdorrt.
Es ist nichts mehr übrig, ich verkrampfe, schließe ungeachtet der Umgebung die Augen, um wenigstens etwas der Sinneseindrücke zu dämpfen. Meinen Gehörschutz hatte ich schon vor Beginn der Show drin, denn ohne den wären meine Nerven schon viel früher blank.
Zum Ende des Spektakels wurden Plätze neben mir frei, sodass ich nicht länger all meine Muskelkraft auf das bei-mir-Halten meiner Gliedmaßen konzentrieren musste und etwas Raum zum Atmen fand. Da wurde es deutlich, in welcher Lage mein Organismus steckte. Ich atmete wie ein Marathonläufer nach dem Rennen.
Während all diese Dinge passieren, läuft ein bestimmter Teil meines Gehirns aber weiter. Nämlich der, der sich anpassen und sich mit der Umgebung verschmelzen möchte. Zum Mitklatschen hatte ich die ganze Zeit keine Kraft, wobei ich nur hoffen konnte, dass das niemanden stört. Aber viel schlimmer ist der offensichtliche Gedanke, dass kaum ein Mensch um mich herum versteht, was in mir vorgeht. Ich kann es ja erklären, so wie ich es jetzt über Stunden per Text verfasse, aber in dem Moment selbst, in der Aufruhr in der ich mich befinde..unmöglich!
Und dieses Gefühl, dass man gerade dort unter Tausenden von Menschen einsam und alleine unter Dingen leidet, für die viel Geld gezahlt wird und die die Menschen zu erfreuen scheinen und die mich ja auch erfreut haben die anderen Jahre, das versetzte mir den vorletzten Stoß.
Der letzte Stoß war ein physischer. Beim Verlassen der Tribüne, wo ich links und rechts niemanden mehr bei mir hatte und alle Anstrengung keuchend und schnaufend zu verarbeiten versuchte, bekam ich einen Knuff, möglicherweise versehentlich, in den Nacken.
Menschen die mich gut kennen, wissen, wie ich mich manchmal erschrecken kann. Das hängt allzu oft mit Anspannung zusammen, die ich selten identifizieren und noch seltener kommunizieren kann.
So war meine körperliche Reaktion hier auch heftiger als ich für möglich gehalten hätte. Mit einem großen Ruck zuckte ich auseinander und wieder zusammen und mein Kopf und meine Arme rekompensierten spastisch den unverhofften Schock.
Peinlich. Unkontrolliert. Unangemessen. Schnell flüchtete ich auf eine freigewordene Bank, wo ich in allen Richtungen Platz hatte und atmete weiter und knetete meine Stimming-Tools. Jegliche Komposition dahin. Augen zu. Tränen. Gedankenstürme. Einsamkeit im Getümmel.
Aber ich war nicht allein. Mein lieber Freund, mit dem ich ja dort war, fing mich auf. Für Worte hatte ich keine Kapazitäten mehr, daher einigten wir uns per WhatsApp, dass es okay wäre zu gehen und mit gesenktem Blick und keinerlei Anstalten, mich wie ein gesunder Mensch zu verhalten, ging es wieder zurück zur Unterkunft. Mit immer weniger und weniger Menschen, aber vor allem dem Verständnis der einen Person, mit der ich unterwegs war, schaffte ich es mich zu beruhigen und nach einem Nachtschlaf und ohne weitere spontane Stressfaktoren kam ich mit meiner Energie noch glimpflich über das gemeinsame Wochenende.
Was brauche ich in dem Moment denn?
Viel wichtiger ist, was ich davor hätte brauchen können, besonders bevor es zu spät war und auch bevor es viel zu spät war.
Nämlich grundsätzliche Vorbereitung, wie ich mich in der derartigen Situation verhalten könnte, was es für Reißleinen in Notfällen gibt, was okay und akzeptabel ist und die Gewissheit, dass es für die Windungen meines Hirns Verständnis gibt.
Das ist möglicherweise utopisch, aber das hätte auch im plötzlich wütenden Sturm geholfen.
Was aber in dem heißen Moment hilft, und die folgenden Punkte tragen schonmal zum Faktor „Verständnis für die Hirnwindungen und -Wendungen“ bei, ist die Vermeidung neuer Sinneseindrücke, Schaffen von Raum, unverbindliche Angebote von konkreten Hilfestellungen (ich höre das, kann aber eventuell nicht angemessen reagieren) und das Abnehmen von Kommunikationssorgen.
Ab von dem konkreten Beispiel, wo einiges den Umständen entsprechend gut lief, sind hier Vorschläge, was im Falle eines bereits in Sinnesnot geratenen Menschen hilfreich sein könnte:
- Selbst darauf achten, keine plötzlichen Geräusche, Berührungen oder ähnliches zu verursachen
- Je nach Umgebung der betroffenen Person ihren Platz lassen und eventuell andere um Nachsicht zu bitten
- Sollten Entscheidungen zur Ortsveränderung notwendig sein (entfernen von der Menge, umsetzen), darauf achten, dass die Antwortmöglichkeiten möglichst nonverbal sind: „Wenn wir jetzt zum [konkreter sicherer Ort] gehen wollen, steh einfach auf und dann werde ich vorausgehen.“ So ist die Wahl der Handlung ohne zusätzliche Kommunikation möglich
- Wenn auf dem Wege in Sicherheit weitere Kommunikationshürden liegen, wie der Kauf eines Bustickets oder andere Situationen mit direktem Menschenkontakt, hilft es sehr, wenn ein Fürsprecher vermittelt
Und es hat auch was abenteuerlich-professionelles, wenn wir aus dem Hause gehen, bis an die Zähne ausgerüstet mit Gehörschutz, Stimming-Tools, alternativen Kommunikationsmitteln, Notfallplänen und einem Köcher voll Handlungsstrategien.
So sind wir stark!
Garderobe
Garderobe
Kleidung ist ein bestimmender Aspekt des menschlichen Phänomens. Und ich trage sie ja auch!
Ich schweife mal ein wenig aus:
Obwohl ich nicht gerade für einen schicken Kleidungsstil bekannt bin, erinnere ich mich an eine Zeit, in der ich doch tatsächlich Begeisterung für Klamotten empfand. Das muss so ungefähr in der Pubertät gewesen sein, wo Neugierde auf die sich erweiternde Welt, das Erfühlen des eigenen Potenzials und wilde Hormone die meisten Strömungen des Lebens vereinnahmen.
Trotzdem hatte ich immer meine guten alten Klamotten, mit deren Gefühl ich vertraut war.
Als Kind, so die Überlieferung, wollte ich nichts von einer neuen Mütze wissen und ich sah keinen Sinn darin, Schuhe anzuprobieren, die mir schon von außen nicht gefielen.
Es hat viele Jahre gedauert, bis ich von der Angewohnheit, meine aktuelle Brille oder Alltagsschuhe bis zum Zerfall zu tragen, hin zu einem Zwei-Paar-System und zwei Brillen gleichzeitig zur Auswahl gewechselt bin.
Ich kann sogar von dem neu gewonnenen Vorteil berichten, eine nicht lebensbestimmende Entscheidung zu diesen äußeren Aspekten treffen zu können, was mir jeden Tag einen kleinen Schub Selbstwirksamkeit beschert.
Wäre mir die Existenz von Modebewusstsein oder Geschmack nicht bewusst, würde ich wahrscheinlich auf Cargo-Hosen und Kapuzenpullis mit Taschen setzen. Sind Taschen nicht so unendlich praktisch, um alllle nützlichen Werkzeuge und Kleinode zu transportieren, die man in der großen weiten Welt so braucht? Und von Jacken gar nicht erst zu sprechen, den „Handtaschen des Mannes“! 😀
Je (be)greifbarer die Funktionen eines Kleidungsstücks sind, desto besser fühlt es sich an, es (an) zu haben.
Modularität ist auch etwas Herrliches! Je leichter sich alles im Schrank kombinieren lässt, desto weniger Gedanken muss man sich beim Anziehen machen.
Andererseits können manche Leute sich vielleicht gar nicht die Möglichkeit vorstellen, Shorts mit einem Pulli oder sogar Skisocken zu kombinieren – die coolsten Socken überhaupt, so vielseitig!
Farben sind schon eher Luxus, eine persönlichere Note, denn mein liebes Rot passt zu wenig anderen Farben. Ein weiteres Detail ist alles, was auf meinen Klamotten geschrieben oder abgebildet ist. Es gibt eine Marke, die groß meinen eigenen Namen trägt – ein No-Brainer bei der Kleiderwahl – aber ich entwerfe auch gern eigene Designs, die auf Klamotten gedruckt ihnen neben der Funktion immer auch Bedeutung geben.
Sich zu entscheiden, was man anzieht, ist schon schwer genug, aber mit einer widerspenstigen Taille sitzen manche Sachen oft enger als gewollt.
Aber neben der Tatsache, dass ich mein Outfit bekanntermaßen schlecht auf Wetter und Temperatur abstimme (Pullis sind einfach zu bequem), erkenne ich auch nicht die logische Option, engere Shirts gegen weitere auszutauschen, weil meine Garderobe größtenteils vorgeplant und nicht von Spontanität geprägt ist.
Das führt öfter zu Unannehmlichkeiten, als ich zugeben möchte.
Und warum werfe ich diese 10 Jahre alte Jacke nicht weg, die ich einfach noch nicht als abgetragen klassifizieren will?
Weil sie den wunderbarsten Klett hat, den ich zum Beispiel beim Einkaufen immer zum Stimming benutze.
Für Sensorik sind Klamotten immer relevant; da sollten sie uns doch wenigstens zu guten Gefühlen dienen, oder?
Mein Autismus ist echt
Mein Autismus ist echt
Dieser Artikel kratzt nur an der Oberfläche der dringlichen Frage: „Sollte ich diagnostiziert werden oder lieber nicht?“.
Und das ist der erste Punkt, den ich ansprechen möchte: Ein entscheidender Faktor ist, wie sehr die Angelegenheit pressiert. (unangebrachtes Wortspiel: wie sehr sie de-pressiert)
Für mich wurde es vor einigen Jahren so unerträglich, dass ich die Diagnose suchte. Aber für manch andere, die objektiv locker in alle Kriterien passen könnten, ist es offenbar nicht so dringlich – wenn es denn überhaupt eine Frage im Leben darstellt.
Der zweite große Aspekt betrifft Chancen und Herausforderungen. Zwei gegensätzliche Faktoren, die den Erfolg eines Lebens bestimmen, aber von unseren Entscheidungen ihnen gegenüber abhängen.
Eine offizielle Diagnose eröffnet bürokratischen Zugang zu spezialisierteren Hilfs- und Unterstützungsangeboten, deren Verfügbarkeit regional abweichen kann.
Nicht jeder Mensch, Arzt oder Arbeitgeber in meinem Umfeld versteht oder unterstützt den Veränderungsprozess, aber letztlich bleibt alles eine Frage des Verständnisses von Neurodiversität ab sich – und in der Gesellschaft sind wir da wohl noch nicht ganz angekommen…
Abstrakt ausgedrückt: Die Art, wie ich meinen guten Willen auslebe, mag sich verändert haben, aber der gute Wille selbst nicht. In einer perfekten Welt stünde das erst gar nicht infrage.
Diagnostiziert zu sein verändert nur einen Faktor: Die offiziellste externe Bestätigung dieses komplexen und tief gewurzelten neurologischen Phänomens.
Es ist an sich eine wundervolle Sache, sich wirklich mit einer Gruppe von Menschen verbunden zu fühlen, mit denen man so viel mehr gemeinsam hat als mit den meisten Menschen um sich herum, aber die rational starke Seite des Autismus lässt keine Gewissheit ohne die bestbekannte Quelle zu.
Früher dachte ich nur an Autismus, wenn ich schlechte Tage hatte, aber an den besseren Tagen polierte ich einfach wieder an meiner Rüstung und versuchte, mich in jede Form zu zwängen, für die es ein gutes Regelwerk zu befolgen gab.
Das ist vielleicht mein stärkster Punkt: Ich habe es mir jahrelang versagt, eine endgültige Antwort auf einen dringlichen inneren Kampf zu finden, und habe mich durch das alltägliche Minenfeld zu meinen Chancen navigiert, die niemals dem Schwierigkeitsgrad entsprechen konnten, auf dem ich lebte.
Wenn du eine Diagnose suchst und bekommst, wird daraus eine ernsthafte Verantwortung werden, deinem Wesen und deinen Bedürfnissen treu zu bleiben. Diese Verantwortung kann dein Umfeld aufmischen, alte Gewohnheiten abschaffen, perfektionierte Routinen zerstören und dir einen entzerrten Spiegel vorhalten, in welchem meine eigene Selbstprojektion nicht mehr zur jenigen Form passte, die ich nun zu sehen begann.
All diese Veränderung schmerzt und scheint mich von dem wegzuführen, von dem ich dachte, mein Leben solle so aussehen. Aber sollte mein Leben denn nicht von Weiterentwicklung, von gesunden Entscheidungen und davon handeln, mich selbst mal ernst zu nehmen, glücklich zu sein, um die Menschen um mich herum glücklich zu machen?
Auch wenn ich jetzt Veränderungen durchmache, hat mir meine Diagnose geholfen, in die richtige Richtung zu gehen und nicht länger an ihrer Echtheit zweifeln zu müssen. Und die Belohnung ist ein Leben, das wahrhaftiger, direkter und unmaskierter ist – genau so, wie ich es mag.