Professionalität

Professionalität

Zeig dich professionell!

Je älter wir werden, desto öfter wird das von uns erwartet und mit jedem Mal noch ernster.
Aber was heißt das denn eigentlich?

Wir sagen dazu, womit ein Mensch seinen Lebensunterhalt verdient, er mache es „professionell“. Das Wort trägt viel Verantwortung und alle Folgen davon in sich, es ist eine sehr erwachsene Sache, Dinge zu tun.
Die meisten Unternehmen handeln professionell, weil Nachhaltigkeit, Verantwortlichkeit, Wirtschaftlichkeit und viele weitere -keiten nicht nur von den Kunden erwartet werden.

Als Fotografie-Anbieter war ich selbst ja auch in dieser Situation, aber weit entspannter, da es nicht wichtig für meinen Lebensunterhalt war. Und ich habe mich auch nie dahin ausgestreckt, so richtig professionell dazustehen; im Gegenteil, ich habe stets darauf hingewiesen, dass ich Momente mit Leidenschaft einfange und mit Fokus auf die individuellen Kunden.

Professionalität dreht sich darum, Standards einzuhalten. Das Gegenmittel davon ist Erwartungsmanagement.

 

Mit Autismus?

Man könnte argumentieren, dass insbesondere die Spätdiagnose dem sorgfältig aufgebauten internen und externen Erwartungsmanagement aufs Übelste mitspielt.
Ich habe ja selbst so viele Standards erlernt wie ich konnte (Knigge, Seminare, eigene Regelwerke), sodass ich sie einhalten, meistern und beizeiten sogar als professionelles Wesen durchgehen konnte.

Aber der tatsächliche Prozess läuft in meinem Kopf anders ab. Unter all der robotischen Programmierung brodeln ungestüme Gefühle, Leidenschaften, Emotionen. Ich hatte großes Glück, dass ich nur Teile dieser Übermacht unterdrückt (maskiert) habe und sogar ein wenig von diesem rohen menschlichen Element in meine Programmierung einbauen konnte.

So konnte ich, trotz meines Autismus‘, sogar zu ausgewählten sozialen Anlässen durchaus „professionell“ rüberkommen.
Aber in Wirklichkeit sind es meine maßlos aufgedrehten Gefühle, umzäunt von der überdurchschnittlichen Fähigkeit rationalen und kalt-logischen Kalküls (das ist übrigens ein willkommenes Werkzeug, um das Komische zu unterdrücken, was Menschen öfter ablehnen, als es zu umarmen oder wenigstens nüchtern zu hinterfragen), woraus ich bestehe.

Beachte, dass die Gefühle zuerst da sind und erst danach mit der Schutzschicht von all dem, was einen autistischen Menschen erst so richtig nach Buch autistisch machen, überzogen werden (veränderungsabweisende Routinen, Augenkontaktvermeidung, wiederholendes und pedantisches Verhalten, Anfälligkeit auf sensorische Einflüsse).

Ich scheine am besten in dieser Welt zu funktionieren, wenn entweder meine Gefühle und Emotionen hübsch übereinstimmen oder meine Schutzmechanismen zur Höchstform auflaufen. Schade nur, dass beiderlei zu selten vorkommt, da ich als Mensch in einer menschlichen Welt lebe.
Aber ich habe es trotzdem weit gebracht, indem ich alles dafür gegeben habe, die Leidenschaft im Job hochzuhalten, trotzend dem, dass dort all meine Energie versunken ist. Und wo keine Energie mehr da war und weder meine eigenen, noch die Erwartungen der anderen mehr getroffen werden konnten, musste ich mich für eine große Ruhepause entscheiden.

 

Mit Bestimmung.

Ich mag es, nach dem Warum von Dingen zu fragen, und ich strebe nach einer befriedigenden Antwort.
Demnach würde ich gewiss nicht froh, wenn ich nur um der Professionalität Willen „professionell handle“. Das ist auch keine Entscheidung, habe ich über die Jahre von mir gelernt, es ist ein tief verwurzeltes Bauchgefühl, echte Leidenschaft den Eckstein meiner Zielsetzungen sein zu lassen.

Wo ich nun das professionelle Schauspiel aufrechterhielt, habe ich entweder meine Leidenschaft mit mentalen Werkzeugen aufmaskiert, oder ich hatte Glück und konnte große Teile meiner Leidenschaft zum Einsatz bringen, um dann zufällig alle Standards einer Profession zu erfüllen.

Aber sind wir letztlich hier, nur um in ein vorgefertigtes Bild von „Profis“ zu passen, oder ist es nicht unsere Bestimmung, unsere Leidenschaften durch unser Tun mit anderen zu teilen, und das womöglich professionell?
Natürlich können wir nicht immer unsere Profession ganz frei wählen; aber ist unsere Jobbeschreibung nicht weitaus weniger zentral als unsere eigentliche Leidenschaft und die Antwort, warum wir jeden Tag tun, was wir tun?

Ich habe das Gefühl, dass das Hinterfragen dieses entscheidenden Gleichgewichts von Leidenschaft und Professionalität ein großer Schritt in Richtung Gesundheit für mich sein könnte.