Ändern oder verändern

Ändern oder verändern

Von allen gegensätzlichen Verhaltensweisen, die ich mich an den Tag legen sehe, fasziniert mich mein Verhältnis gegenüber Änderungen wohl doch am durchgehendsten.

Wenn Autismus einen Geisteszustand beschreibt, der klinisch bewiesen anders als die Welt um ihn herum ist, wird jede Einflussnahme auf ihn ein sehr bedeutsamer und zutiefst sensibler Akt sein.

Unterbrochene Routinen, plötzliche Abänderungen des durchgeplanten Tages, zusätzliche Faktoren, ein Unfall oder ein unvorhergesehener Verlust des Energielevels können eine Reihe unglücklicher Folgen haben, die nur all zu selten elegant verarbeitet werden.

Auf der anderen Seite bin ich nicht ohne Grund dafür bekannt, anders zu sein: Denn ich mache viele Dinge anders und mag es, neue Lösungen zu entwicklen und fordere fröhlich die Regeln und Grenzen heraus, die ich kennenlerne.

Ich habe zwei Arten von Änderungen bemerkt, die so weit voneinander entfernt sind, wie sie sich auf meiner Sympathieskala zeigen:

  • Ich fürchte, lehne ab, habe Angst vor und umgehe: Änderungen

  • Ich liebe, genieße, blühe und manchmal bürde ich anderen mehr oder weniger spielerisch auf: Veränderungen

Was unterscheidet sie nun so kritisch?

Es ist die Quelle der Änderung und die Art, wie sie in meine Welt gelangt.

Es gibt immer Regeln und Grenzen und Ziele und Begründungen. Also muss alles was ich tue auch einen Grund haben, auf natürliche Weise.
Dieser Grund für alles ist etwas, gegenüber dem ich schon seit jeher extrem sensibel bin. Wenn ich nicht einen Grund für etwas sehe, reagiere ich oft sehr unangemessen. Glücklicherweise haben meine Eltern eine Welt für mich geformt, die greifbare Gründe und eine Erklärung für so gut wie alles liefert.

Wenn nun mein Tag oder eine bestimmte Zeitspanne vorbereitet ist, heißt das, dass meine Gründe und alle dazugehörigen Faktoren ausgerichtet und ausbalanciert sind, um meine Funktion zu gewährleisten.

Und dann kommt eine Änderung: Diese kommt von außen und wenn ich noch keine vorgefertigte Lösung für diese Änderung habe (den Aufprall komplett herausfiltern, dieses exakte Szenario bereits bedacht haben, für Unvorhergesehenes vorgesorgt haben), werde ich von Anfang an neu ausrichten müssen.

Ich werde die Natur und die Größe der Änderung gegen meinen ganzen Satz von Gründen, aktuellen Auffasungen, großen und kleinen Zielen, meinem Verhältnis zu jedem involvierten Faktor (lebend oder nicht) abwägen und ich werde so schnell ich kann alle diese Dinge ausbalancieren, um wieder funktionieren zu können.
Und wohl mir, wenn ich einen guten Grund dafür habe, WARUM ich überhaupt wieder funktional sein möchte..!

Beispiele dafür: Eine spontane Änderung der Sitzplätze im Büro, mehr Personen als erwartet kommen zu Besuch, die Bahn wirft den Reiseplan über den Haufen, es gibt eine der vorher ausgewählten Speisen im Restaurant nicht, es werden Getränke zur Auswahl angeboten, wo man es nicht erwartet hätte.

Aber nun zur schöneren Seite: Wenn ich einen guten Grund sehe, etwas anders zu tun, natürlich im Einklang mit allen meinen aktuellen Auffassungen, bekannten Regeln und Ideen die sich in meinem Kopf finden, liebe ich es einfach, das dann zu verändern und das Leben ein wenig leichter, lustiger oder bedeutungsvoller zu machen.

So sehr ich auch innerhalb von Rahmen denke und lieber nach festen Dingen suche, so gut kann ich auch erkennen, was da außerhalb der Grenzen liegt und welche Regel womöglich gar keinen Rückhalt hat.

Eine Sache, die mich dabei stets zurückhalten möchte, sind meine Routinen. Dieselben spielen eine RIESENGROẞE Rolle darin, mich überhaupt erst funktional zu machen.
Eine Routine zu verändern, so geringfügig und so positiv es sein mag, braucht einen gewissen Puffer im Energielevel, nebst aller Begründung.

Ein guter Grund kann auch jemand sein, dem wir vertrauen. Solange wir uns sicher sind, dass diese Person selbst gute Gründe birgt. Aber das wird schwerer, wenn man erwachsen wird. Wer wird uns dann vorsagen, was auf dieser unkontrollierbar rotierenden Welt wir tun sollen?
Du wirst es dir selbst sagen. Nur ist die Gewaltenteilung innerhalb von uns Menschen eher schwach, was sich dann in den exekutiven Funktionen zeigt…

Ich würde mich selbst gerne klonen, in ein Wesen dass mir alle richtigen Dinge vorsagt und ich könnte dann einfach ein glückliches Leben führen. Aber das muss alles in einem selbst gemacht werden. Vielleicht weiß auch gar keiner, wie das wirklich funktioniert.
Das ist wie dieser psychologische Trick, bei dem einem weiß gemacht wird, es wäre die eigene Entscheidung, damit man sich damit gut fühlt. Das müsste es sein, was die ganze Zeit in unseren Köpfen vor sich geht.

Ohne die großen Mengen an Energie, die ich durch die neue Art zu arbeiten spare, und den vielen gelösten Fragen im letzten Jahr, hätte ich niemals meine Wohnsituation so verändern können mit allen quirligen kleinen Veränderungen dadrin. Und dennoch fürchte ich mich vor jeder Änderung, die mir entgegenkommt, die ich nicht kontrollieren kann.

Ich mag mutig erscheinen, aber es ist einfach nur die ausreichende Menge an Dingen von denen ich weiß und die überschüssige Energie, die mich Großes schaffen lassen. Wenn die beiden Dinge nicht da sind, halte ich mich lieber an mein altes Leben, wo ich Aussicht auf Änderung bewusst gering hielt.