Das Ende des Archivs

Sich mit seinen eigenen Taten zu überraschen ist ein seltenes Phänomen, zumindest für mich.
Die meiste Zeit meines Lebens habe alles darangelegt, Dinge zu erhalten und meine Habschaft und Routinen und „mein Zeug“ zu schützen.

Mein nostalgisches Ich würde nie geliebte Schätze wegschmeißen. Neeiiin mein Herr! Das würde ja womöglich den materialisierten Verlust einer Erinnerung bedeuten oder gar schlimmer: Die gefürchtete Situation, wo man etwas braucht was man nicht mehr besitzt.

All so ist mein Archiv dann gewachsen. Alles, was ich je mein Eigen genannt habe, lagerte ich ein. Manches nicht allzu lange, auch ersetzte, verkaufte oder entsorgte ich manches manchmal.
Aber ich hielt stets meine Hände über die alten Schätze, noch aus Grundschulzeiten und sogar noch von davor. Sowas kann man doch einfach nicht wegwerfen!

Von allen Dingen die ich besitze, war das immer so eine Art Bodensatz. Dinge die einfach so da waren, mit verblassenden Erinnerungen belegt und die VIEL Platz in Schränken und Schubladen einnehmen.
Aber es war schon recht beruhigend, weil ich immer wusste dass ich Gesuchtes auch finden würde, denn weggeworfen könnte ich es ja nicht haben. Nur das Finden war ein Vorgang für sich, denn diese Art Archiv war nicht sonderlich gut sortiert…

So habe ich dann auch mein Zuhause verlassen, um ein halbes Jahr woanders zu leben. Ich packte meine Sachen, die ich brauchte und habe nur die großen Dinge zurückgelassen, wie das Heimkino und alle Möbel. Zusätzlich auch den Bodensatz, den ich ja auf der Reise nicht gebrauchen konnte.

Es ergab sich so, dass ich für ein Wochenende doch wieder zurückreiste.
Komisches Gefühl, nachdem man sich verabschiedet hatte doch wieder zurück zu sein. Es war schön. Und da ich ein wenig freie Zeit zur Verfügung hatte und ohnehin noch ein paar Dinge mitnehmen wollte, schaute ich so mein Zeug an und mir dämmerte es langsam: Jetzt wäre der perfekte Zeitpunkt, mir mein Zeug mal WIRKLICH anzusehen.

Weil alle Sachen auf der anderen Stelle schon bewiesen hatten, für ein gutes Leben auszureichen und da ich noch einen halben Tag Zeit hatte, machte ich mich ran.

Ich habe einfach alles, was in meinem Besitz war, aus Schränken, Regalen, Kisten und dunklen Ecken hervorgeholt.

Als ich angekommen war, war mein Zimmer noch so sauber wie nie.
Jetzt herrschte aber die größte Unordnung! Absichtlich nur, denn das war MEINE Unordnung, und ich wollte diese in der begrenzten Zeit zu Hause aufräumen.

Eine Person besteht aus mehreren Elementen, von denen eines die materiellen Besitztümer sind. Die Natur dieser Dinge definiert dabei einen Teil der Natur dieser Person.
So oft ich auch während meiner Reise, meiner Entwicklung und meiner persönlichen Reise Elemente meiner Vergangenheit wiederentdeckte, so sehr hielt ich aber auch an den Dingen fest, die mir vor Zeiten einmal wichtig waren.
Aber manchmal kann es sehr befreiend sein, von Dingen loszulassen.

Nur selten fliegen Stunden so schnell wie in solchen Momenten.
Dazu fühlte es sich an wie eine Zeitreise! Und weil ich wusste, dass ich diese Dinge nicht für mein Leben brauchte, war ich in einer fruchtbaren Stimmung des Wegschmeißens.

Am Ende waren es zwei Müllsäcke voller Erinnerungen und über 20 Kilo Papier, die in die Tonne wanderten.
Manche Sachen gingen in den Spielzeugpool meiner Neffen und Nichte über, eine sehr kleine Anzahl von Dingen behielt ich und so manchen Schatz überließ ich Papa, für die Werkstatt oder doch zur Entsorgung. 

In der Nacht konnte ich kaum schlafen, denn mein Kopf war noch ganz beschäftigt die Übermaßen an Eindrücken zu verarbeiten, die ich ihm aufgetischt hatte.
Aber eine Sache war im Vordergrund: Erleichterung! Ich würde nicht nur in einen aufgeräumten und piekfeinen Raum zurückkehren, sondern weiß jetzt auch über jedes Ding, was ich besitze Bescheid, ohne dass es eine verklumpte Masse ist – ein schwerer Bodensatz eben.

Bonus: Jetzt kann ich endlich die Reise-Shampoos aufbrauchen und die Popcorn-Kerne und die Dosen Jackfruit, die ich mal im Orakel fand!

Viele Leute machen sowas schon regelmäßig, was eine wunderbare Gewohnheit ist!
Aber ich hatte immer Angst davor. Meine Vergangenheit rauszuschmeißen schien so bedrückend und nie standen die Sterne dafür so günstig wie an diesem Wochenende.
Nun wird es einfach sein. Weil die Dinge, die ich aussortiere, eben nicht uralt oder nostalgisch wertvoll sein können.

Eigentlich habe ich das in anderen Bereichen schon angefangen, in den letzten Wochen.
Meine Ordner auf der Festplatte meines PCs sind nun sortiert und all meine digitalen Sammlungen und sogar auf Arbeit kann ich diese dankbare Aufgabe ausführen.

Es tut wohl, einmal wirklich Klar Schiff zu machen und den Blick in die Zukunft zu schärfen, da es nun einen ganz bestimmten Flecken weniger gibt, auf den man zurückschauen kann.
So hat der Name meines Blogs wieder einmal Recht bekommen: Sir Oliver Evolves!