Fototour Mahia

Es gab keine Äpfel mehr, die gepflückt werden konnten. Sie sind noch nicht reif genug, wurde uns gesagt. Was für die Reisekasse nichts sonderlich Gutes bedeutet, freut dagegen den müden Körper.

Die 2 freien Tage würde ich für eine kleine Reise nutzen, sagte ich mir und informierte mich über das Angebot der Gegend.
Viele würden sicher sofort in ihrem Reiseführer oder im Netz suchen, aber Neuseeland lehrt anderes. Ich fragte einen Einheimischen, der nebenbei noch unser gütiger Vorarbeiter ist und dessen Maori-Wurzeln bis zu den Anfängen Aotearoas reichen. Seine Kultur beschäftigt sich viel mit der Umwelt und auch mit historischen Hintergründen. Und er empfahl mir unter vielen anderen Vorschlägen nach Mahia zu fahren. Das ist eine Halbinsel am nördlichen Ende des Küstenverlaufs von Hawkes Bay.
 
Dort hatte er seine Kindheit verbracht und dort seien auch seine Vorfahren erstmals in Neuseeland an Land gegangen. So weit, so vielversprechend… 🙂
Meine Mitbewohner bescheinigten mir den Ort als (unter Einheimischen, weniger unter Touristen) beliebten Urlaubsort und so ging es dann mitsamt Kamera und Schlafsack los.
 
In Neuseeland darf man nicht mehr als 100km/h fahren. Hört sich für uns Deutsche wie eine Strafe an, aber wenn man sich das genau ansieht ist es gerechtfertigt: Die Autobahnen sind (außer Reichweite der Metropolen) bestenfalls mit einer Landesstraße zu vergleichen und zu 90% unmöglich mit (erlaubter) Höchstgeschwindigkeit zu bewältigen. An den Kurven gibt es meistens Richtgeschwindigkeiten, damit man sich nicht verschätzt. Ist für Touristen sehr hilfreich. 😉
 
Die große Freiheit genießend hielt ich überall nach Lust, Laune und Abbiegemöglichkeit an und schoss Fotos. Der erste Halt war am Lake Tutira.

Haus am See

Das Mohaka Viadukt (erbaut 1936, fungiert als Eisenbahnbrücke) ist mit 95 Metern das höchste Bauwerk seiner Kategorie in ganz Australasien.

Im Wald roch es nach Ziegen und ich sah auch welche in einiger Entfernung. Direkt neben dem State Highway 2 leben also Ziegen im Gebüsch, gut zu wissen.

In Mahia checkte ich auf einem, dank Nebensaison sehr günstigen, Holidaypark ein und parkte auf einem der wenigen Plätze mit Meerblick. Ein Holidaypark ist im Grunde ein Hostel ohne Zimmer, weil man mit eigener Behausung (Auto, Zelt, Wohnmobil) anreist.
Aber das Ankommen war nur ein Teil meines Plans…

So möchte man Willkommen geheißen werden.

Ich änderte meinen Standpunkt, um einen klaren Blick gen Westen zu bekommen. Denn obwohl die Sonne hierzulande mittags im Norden steht, geht sie dennoch im Westen unter…

Das bin übrigens ich ohne Bart. 😉

Wolken können auch Schatten auf die Unterseite anderer Wolken werfen.

Nachdem ich die Sonne gebührlich verabschiedet hatte, fuhr ich dann zurück und verbrachte meine erste Nacht im Auto. War ganz schön kalt, aber man muss manche Dinge im Leben ja mal gemacht haben… 😀
So fiel es auch nicht schwer, den Schlaf zu unterbrechen und eine Strecke zu fahren um den Aufgang der Sonne mitzuerleben. Das Gute an der Halbinsel ist, dass sie wie im Westen, so auch im Osten freien Blick auf das Meer gibt. Ich kann nur sagen, dass es sich lohnt! Steht früh auf, geht an einen schönen Platz und genießt dieses überwältigende Spektakel der Natur. Ob ihr währenddessen den Auslöser eurer Kamera oder jemand anderen drückt, bleibt eure Entscheidung. 🙂

Endlich meldet sich die Sonne…

…und der Himmel brennt.

Es wird licht in Neuseeland. Alleine der Wechsel von dunkel zu hell ist majestätisch.

Es ging für mich noch etwas hin und her auf der Halbinsel, bevor ich mich auf den Rückweg machte.

Auch wenn dies und das auf Bildern gut aussieht; wenn man davor steht, ist es viel viel schöner…

Tadaa, wieder was zum ersten Mal: Meine erste Portion Fish-and-Chips. Eins der Nationalgerichte… 🙂

Mein Vorarbeiter sprach auch vom ‚White Pine Bush‘, woran ich auf dem Hinweg erst vorbeifuhr. Jetzt hielt ich aber und durfte mich (als passionierter Tarzan-Fan) dem Anblick des Dschungels hingeben.
Wieder direkt neben dem Highway gelegen, ist das ‚White Pine Bush‘ – Reservat ein totaler Kontrast zur Umwelt. Es ist zwar nachträglich Touristen zugänglich gemacht worden, aber man fühlt sich nicht minder von der Natur umarmt…

Lianen gibt’s! 😀 Hatte leider meinen Lendenschurz nicht dabei, ansonsten hätte ich mich an den Lianen hochgeschwungen und wäre für ein paar Tage im Dickicht verschwunden und hätte Leoparden gejagt, Gorillas gesucht und mich nur von Früchten und Termiten ernährt… 😀

Die Wurzeln der Kahikatea-Bäume dort sind gewaltig.

Ich hole jetzt mal die Wäsche rein, nachher gibt es Auflauf mit so ’ner Tomatensoße aus dem Glas (ist irgendwie in meinen Einkaufskorb gefallen), Hähnchenbrust und Nudeln. 🙂
Morgen dann wieder zur Arbeit und so geht der Alltag… Aber bald, bald wird der letzte Apfel gepflückt sein und dann fängt ein ganz neues Kapitel an…

Alles nach Plan

Noch 33 Tage, dann werde ich eine Tür öffnen. Eine Tür, die meinem Zuhause für die nächsten Monate gehört.

Mein Plan, die für die Visumsverlängerung nötigen 12 Wochen auf der Apfelplantage zu absolvieren, geht auf. Ich werde zwar nach einer Woche in meiner Gastfamilie wieder zurück nach Hawkes Bay gehen, damit ich die letzten 2 Wochen des Aprils noch für die Arbeit ausnutze. Denn man muss theoretisch nur einen Tag pro Woche arbeiten, damit sie für die Verlängerung gilt.

Nach der ganzen bürokratischen und ganz nebenbei noch körperlichen Anstrengung kann ich also endlich in meiner (anfangs als einzige Station geplanten) Familie Fuß fassen.

Wenn ich mir das so überlege (Achtung, zur Nachahmung empfohlen. Eltern verhaften ihre Kinder.) ist das eine außerordentliche Packung Neuseeland, die ich mir genehmige…
Erst einen (von maximal 3) Monat als Tourist, ohne Arbeit einfach nur hier ’sein‘. Währenddessen habe ich mir meine Gastfamilie gesucht. Der Vorteil, den Bewerber (oder die Bewerberin 😉 ) vor sich sitzen zu haben ist so durchschlagend, dass man sich wirklich die perfekte Familie suchen kann. Und dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zusagt. Denn Skype ist nichts gegen ein echtes Gespräch wo man sich gegenübersitzt…

Dann das Working-Holiday-Visum beantragen. Nachteil ist, dass man aufgrund des Aufenthaltes länger als ein Jahr ärztliche Zertifikate benötigt. Die kosten, das ist nun mal so. Aber für den verlängerten Aufenthalt nimmt man das mehr als gerne auf sich.

Mit dem Arbeitsvisum kann man sich nun in das Work-and-Travel-Leben stürzen. Man kann lange Tage in der schreienden Hitze Äpfel pflückend verbringen und sich Gedanken über das Leben, den Sinn von Bildung und einem qualifizierten Job machen. Man lernt, was sparen heißt. Man lernt, dass Arbeitsklamotten schneller zu ‚riechen‘ anfangen. Und man lernt, dass das Leben doch nicht nur Spiel und Spaß ist.

Wenn man dann entweder die Schnauze oder die 12 Wochen für die Verlängerung voll hat, kann man die nächste Stufe zünden. Man geht zu seiner Gastfamilie und..nun, davon werde ich zu reiferer Zeit mehr berichten.

Die Rechnung in Monaten ist nicht schwer. Mein Fall sieht so aus:
1 Monat mit Touristenvisum
12 Monate mit dem Working-Holiday-Visum
3 Monate als Verlängerung des WHV

Wenn ich zu meiner Familie gehe, werde ich bereits 5 Monate hier in Neuseeland verbracht haben. Bleiben also noch 11 Monate. Die letzten davonmöchte ich zum Reisen auf der Südinsel nutzen, sodass mir 9-10 Monate in der Familie zur Verfügung stehen.

Ein anderer Nachteil ist aber, dass man sein Flugticket verlängern muss. Denn bei der Einreise als Tourist muss man ein Rückflugticket vorlegen. Es ist kein Problem, ein Flugticket zu verlängern (kostet nicht die Welt). Aber Flugtickets sind nur für die Zeitspanne von einem Jahr verlängerbar. Da mein Aufenthalt hier darüber hinausgeht, musste ich meinen Rückflug verfallen lassen und werde mich nach einem neuen umsehen. Vielleicht hätte das auch besser laufen können, also sprecht unbedingt rechtzeitig mit eurem Reisebüro…
Nichtsdestotrotz (deutsche Wörter klingen immer komischer 😀 ) ist auch dieser Umstand die zusätzliche Zeit hier am Ende der Welt voll wert.

Unter anderem deswegen:
Die meisten Au Pairs kommen direkt in ihrer Familie an und viele verlassen sie auf dem direkten Wege nach Hause. 1 Jahr Au Pair sein, etwas reisen zwischendurch, Ende. Das war anfangs auch mein Plan, aber der hat sich ja maßgebend geändert.
Ich werde bei der Ankunft in der Familie schon im neuseeländischen Leben angekommen sein. Ich habe dann nämlich schon Straßen und Supermärkte, Tankstellen und Umgangsformen, Lebensmittel und Sprache kennengelernt. In meinem Aufenthalt stellt das Au-Pair-Sein somit zwar den zentralen Punkt dar, aber es ist lange nicht der einzige Inhalt.
Und nach meiner Reise auf der Südinsel kann es sogar ein kleines ‚Wiedersehen‘ mit der Familie geben, bevor ich endgültig heimkehre. Ich reise, arbeite, bin Au Pair, reise wieder und danach geht es nach Hause. Nach 16 Monaten Neuseeland…

Bei einem Roadtrip ging es wie so oft bergauf und ich wurde auch diesmal nicht enttäuscht. Neuseeland ist SO wunderschön!

Merke: Für Ausflüge mit der Kamera eignen sich Sonnentiefstandsstunden am besten. 😉

Sogar diesen Platz habe ich am Ende des Roadtrips gefunden. Ein Weltrekord nur 100km von meinem aktuellen Zuhause entfernt! 😀
(Der Name beschreibt einen Hügel und ist eigentlich ein ganzer Satz.)

Kleine Zwischenmeldung

Weiße Folie ausspannen, weiße Folie einsammeln, so geht es jeden Tag. Ein paar Tage habe ich auch gepflückt und bin tatsächlich schneller geworden. 🙂
Letztens bemerkte der Vorarbeiter einen Fakt: Ich bin sehr viel dünner geworden, seit ich auf der Plantage anfing. Ich bin froh, dass ich mich daheim auch selbst neben meiner Reisetasche gewogen habe. Denn ansonsten könnte ich nicht mit so viel Gewissheit bestätigen dass ich bereits 10kg abgenommen habe! 😀

Alltag formt sich auch allmählich. Aufstehen, was essen, was einpacken, ab zur Arbeit, Arbeit, im 70 Grad heißen Auto zurückfahren, daheim duschen, was essen, Kontakte pflegen, etwas Unterhaltung, etwas Eis naschen, ab ins Bett, Müll träumen, Wecker klingelt, nochmal von vorn…

Ich habe im Laufe meiner Reise sehr viel über mich selbst gelernt. Unter anderem dass man der herzensbeste Mensch sein kann, aber lang nicht jeder das auch so sieht.

Ich kann mir immer weniger vorstellen, auf der rechten Seite zu fahren. Ich reinige Müll für die (offensichtlich äußerst penible) Müllabfuhr und wasche Geschirr mit dieser unnützen Bürste. Ich lebe unter waschechten Kiwis, esse Meatpies (Fleischkuchen, Oma; sollten daheim unbedingt Standard werden 😉 ) und die Flat ist immer noch toll…

Hakuna Matata

Danke an Susi, die diesen Artikel ins Rollen brachte. 🙂

Ich habe hier und da erwähnt, dass ich mich besonders auf die Art der Leute hier freue. Und nach fast 3 Monaten (gefühlte 3 Wochen) möchte ich mir anmaßen, verbindliche Aussagen dazu zu treffen. Dieselben beziehen sich auf die Neuseeländer, nicht auf die Mitreisenden.

Wenn man nach einer Flut von freundlichen Menschen Ausschau hält, die einem bei der Ankunft entgegen eilen und dich herzlich Willkommen heißen, wird man wohl ernüchternd feststellen müssen dass die Menschen hier eben auch nur Menschen sind.
Es gibt den schweigenden Geschäftsmann, der mit wehendem Jackett an dir vorbei eilt, es gibt die strenge Mutter im Supermarkt, die ihrer Tochter ungeduldig das „Wie bitte?“ (auf englisch „Pardon?“) zu lehren versucht, es gibt auch hier finster dreinsehende Leute denen man aus dem Weg gehen will.
Es gibt den Workaholic, der auf seinem Traktor eine nicht zu unterschätzende Gefahr darstellt (hier ist ausdrücklich KEINE Parallele zu meinem Lieblings-Staplerfahrer zu ziehen), es gibt die ungepflegt und verwirrt aussehende Dame, die mit überhöhter Geschwindigkeit durch die Gänge des Supermarkts zischt, es gibt auch hier den Menschen, der einen überschwänglichen Gruß nicht erwidert.
ABER es existiert eine ganz entscheidende Verschiebung in der Art der Menschen. Eine Verschiebung, welche die Neuseeländer eben doch herausstehen lässt.

Es ist die gelassene und stets positive Einstellung zum Leben und die äußerst niedrige Schwelle, ein Gespräch entstehen zu lassen.

Letzteres ist oft passiert. Ob man jemanden nach dem Weg fragen möchte und dann zu seinem Hostel gefahren wird und über dies noch gute Freunde gewinnt oder ob man an einem beliebigen Ort angesprochen wird, einfach mal so eine nette Konversation hat und die Personen danach nie wieder sieht.
Man lernt hier auf angenehmste Weise, dass jeder Mensch eigentlich Kommunikation haben möchte und dass da keine Hemmungen bestehen müssen.
Außerdem wird das meiste Wissen, die meisten Tipps und die besten Schnäppchen durch banales Nachfragen weitergegeben.
Das Interesse am Gegenüber scheint höher zu sein. Jeder achtet auf den anderen, es wird standardmäßig nach dem Wohlbefinden gefragt.

Wenn man um etwas gebeten wird geschieht dies stets auf freundlichste und diskreteste Weise, immer vom Besten ausgehend. Das hebelt zu meinem Leidwesen manchmal den klareren Befehlston aus und es kommt zu kleineren Missverständnissen. Nichts, was durch Nachfragen nicht zu regeln wäre… 🙂

Was aber am auffälligsten ist, sind die Redewendungen, bzw. die inflationär genutzten Ausdrücke.
Alles ist ’sweet as‘ (ja, ein S), ‚good as gold‘, ‚cool‘ oder einfach nur ’sweet‘ mit Daumen hoch, du bist jedermanns ‚Mate‘ oder ‚Bro‘. Lappalien oder ein ’sorry‘, wenn man mal vorbei muss, werden mit einem Lächeln quittiert. Du kannst der Laubeinsammelfachkraft am Wegesrand einen herzlichen Gruß zurufen und er kommt ebenso herzlich zurück.

Um die im Hinblick auf die Lebenseinstellung der Kiwis treffendste Aussage wird kein Neuseelandreisender herumkommen. Benutzt wird sie oft zum Beispiel nach ‚Danke‘ und in allen ähnlichen Situationen, die den Gegenüber als fürsorglich dastehen lassen. Sie spielt eine geradezu zentrale Rolle in allen Situationen des Alltags. Sie lautet: „No worries!“ (Es heißt: Die Sorgen bleiben dir immer fern.)

Oliver und die Obstbäume

Kapitel 1:

Unbarmherzig knallt die ungebremste Sonne durch das Ozonloch auf meine Schirmmütze. Sie tut ihren Dienst und hält meiner Kopfhaut den Sonnenbrand fern, sowie sie einen Großteil meines Schweiß‘ daran hindert mein Gesicht herab zu fließen. Dennoch löst sich ein Tropfen von meiner Augenbraue und hinterlässt eine fette Schliere auf dem Brillenglas. Egal, denn an dieser Stelle kommen wieder die angenehmen Gedanken auf; nämlich der Moment als ich dieselbe Mütze als Geschenk von meinem Bruder am letzten Weihnachtsfest in Deutschland erhielt. Hatte sie in weiser Voraussicht auf kältere Tage hier eingepackt und nun hält sie als Sonnenschutz her. Naja, ein bisschen stylischer sieht mein Spiegelbild jetzt auch aus. Win-win-win…

Ausdrücke spontanen Unbehagens bleiben unausgesprochen und werden als resignierendes Stöhnen über meine Lippen gepresst als ich unter dem Baum hervor krieche wie Gollum (nicht so wichtig, Oma). Will mich nicht an Ästen und halb reifen Äpfeln stoßen, aber auch nicht auf meine Knie niederlassen. Die sind diese Anstrengung nicht gewohnt und deshalb fühle ich sie intensiv als ich mich aus der Hockstellung aufrichte und in der Hitze zum nächsten Baum wanke.
Runter, Muskelkater, die Gummiseilkonstruktion zwischen Baum und weißer Folie befestigt, alles gespannt: Ja. Weiter. Meine mangels großer Auswahl schwarz gehaltene Arbeitskleidung lässt in Kombination mit der weißen Folie unter und mithilfe der Sonne eine gewisse thermische Situation entstehen, die den Kreislauf schwer beansprucht. Aber ich bin ja stark und ich bilde mir dabei ein, abzunehmen. Ihr habt eure Sauna, ich habe meine. Immerhin kommt von den 3 Litern Wasser noch nichtmal genug in der Blase an während eines ganzen Arbeitstages…

Die Reihe ist zuende. Ein Apfel lacht mir herzlich und mit geröteten Wangen zu. Da kann man doch nicht widerstehen… Während ich meine Zähne durch das von der Sonne aufgewärmte Fruchtfleisch grabe, denke ich darüber nach was mir zu der weißen Folie erzählt wurde. Sie reflektiert nicht nur das Sonnenlicht und lässt die unteren Äpfel rot werden, sie sorgt auch für einen drastischen Temperaturanstieg, welcher den Äpfeln in Verbindung mit der nächtlichen Kälte einen Reifeboost (oder -schub) beschert. Nun, das mit der Temperatur stimmt auf jeden Fall, das kann niemand abstreiten der stundenlang auf ihnen herumläuft.

Die Folienstücke sind bis zu 250m lang und bestehen aus grober Zeltplane. Macht ordentlich Hornhaut nach einer Zeit. Sie werden nach Bedarf in den langen Reihen ausgespannt und zur Ernte wieder eingeholt. Für die Aktion stehe ich hinten in einer großen Kiste, während sie von einem antik anmutenden Traktor mit Gabelstaplerfunktion die Baumreihe entlang gefahren wird. Es heißt stopfen und stopfen, egal ob man Schlammtortenstückchen wegen des Staubes im Mund hat oder ob die Folie klatschnass ist. Wenn das zweite Ende oben drauf liegt, kommt der spaßige Teil: Man setzt sich in das weiche Nest (natürlich nur, damit nichts wegfliegt) und die Kiste wird etwas abseits abgestellt. Eine halbe Minute Fahrtwind und hunderte reifer Äpfel ziehen verführerisch an einem vorbei…

Kapitel 2:

Ich mochte es immer mir nach der Gartenarbeit die Hände zu waschen. Es sah so nach harter Arbeit aus, wenn das Wasser sich im Becken braun färbte.
Nun stehe ich verschwitzt vor der Duschbrause und versuche den Code richtig anzuwenden (links, rechts, links, rechts, rechts). Endlich, meine Temperatur. Ich wende die Brause meinen Armen zu und bemerke das oben genannte Phänomen am Boden der Duschwanne. Wow, das ist mal Dreck. Nach meiner körperlich wenig anstrengenden Berufskarriere erfüllt mich in solchen Situationen so etwas wie Stolz, etwas geschafft zu haben. Ja, sogar mal richtig ‚gearbeitet‘ zu haben.

Ich lasse Duschgel und Shampoo in der Dusche zurück und gehe auf mein Zimmer. Im Hostel wäre das undenkbar, aber nicht in einer WG. Hier kennt man die Leute, hier hat man Vertrauen zueinander. Und die Schuldigsprechung ist in Zweifelsfällen auch unkomlizierter… Mein Raum ist für eine Person angemessen groß, ich habe mich auch schon eingerichtet. Seit ein paar Tagen wohne ich hier, am anderen Ende von Hastings, welches meiner Arbeitsstelle näher liegt.
Das Hostelleben und einige liebe Reisefreunde habe ich zurücklassen. Aber man kann sich ja immer noch in der arbeitsfreien Hälfte des Tages sehen… Über die Vorteile einer WG werde ich mich an anderer Stelle auslassen.

Nach einer entspannten Mahlzeit wende ich mich den Pflichten zu. E-Mails, Kreditkartenrechnungen, die Wäsche, Einkäufe, etwas Musik, ein gekühltes Getränk dabei und es geht beschwingt ans Werk.

Kapitel 3:

Tag 1. Ich habe an einem dürftigen Geschirr eine große Pflückertasche (Picking Bag) vor meinem Bauch hängen und pflücke meine ersten Äpfel. Es ist wichtig dass sie rot sind. Keine orangefarbenen oder braunfarbenen Töne, nein. Wir sind hinter den richtig rotbackigen her. Die Tasche fasst etwa 20 Kilo an Äpfeln. Die Äpfel sind vorsichtig zu behandeln, denn sie dürfen keine Art von Druckstelle erhalten. Das heißt dass sie in die Tasche gelegt (nicht geworfen) werden und auch mit höchster Vorsicht in die Kiste gelassen werden. Dafür gibt es am Boden der Tasche eine praktische Vorrichtung. Ein so genannter Bin soll gefüllt etwa 400kg wiegen… Es gilt, an einem Tag so viele wie möglich zu füllen. Über 2 konnte ich es aber nie bringen… Die Profis machen je nach Sorte und Umständen 5-12 am Tag voll.
Die Bäume sind jung, es wird keine Leiter benötigt. Am ersten Tag habe ich noch auf meine Ohrhörer verzichtet und musste mich auf die Stimmen in meinem Kopf einlassen. Es kann schon bald wahnsinnig langweilig werden und das Bild der einzeln gepflückten Frucht verschwimmt.
„In Neuseeland sind die Kirschen gigantisch, fassen sich an wie übergroße Radieschen und schmecken nach Apfelsaft.“ Das blieb auch der einzige Tag ohne externe Unterhaltung im Ohr.

Bald kam die Leiter dazu und auch die Apfelsorte die wegen besonderer Verwundbarkeit ohne Stiel in die Kiste muss. Das heißt: Nur die reifen, knallroten Äpfel pflücken, vorsichtig mit dem Seitenschneider (ließ Erinnerungen aus der Ausbildung wach werden) den Stiel stutzen und behutsam in die Tasche legen. Die Leiter hoch, sich mit der schweren Tasche balancieren und wieder das Spiel mit der Suche nach reifen Äpfeln, Stiel rausknipsen, die Tasche wird schwerer, keine Äpfel übersehen, runter, weiter.
Der Lob des Vorarbeiters motiviert, aber der gilt nur meiner ausgezeichneten Farbwahl und nicht meiner Schnelligkeit. Meine Prioritäten liegen falsch. Und man wird nicht nach Qualität, sondern nach Quantität bezahlt. Aber es ist noch kein Meister von der Leiter gefallen und ich werde bald besser werden. Irgendwie schaffen die anderen das ja auch…
Nur dass mir der aktuelle Job mit der Folie weitaus mehr gefällt. Stündliche Bezahlung und Kontinuität der Arbeit sprechen meinem Gehirn einfach besser zu. Mal sehen ob das der Vorarbeiter auch so sieht…

Als Belohnung für das Lesen gibt es jetzt einige Fotos, die ich am Morgen eines sonnigen Arbeitstages schoss.

250m passen nicht ganz bündig in einen ‚Bin‘.

Anblicke wie dieser versprechen schnelles Geld, allerdings eher für geübte Hände…

So sieht es vorher aus…

…und so danach. 😀

Wo man auch hinsieht, Millionen und Abermillionen an Äpfeln…